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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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New Tomorrow an, die Therapeutenvereinigung, der Nora Callighan angehörte, und schwieg betroffen, als die Telefonistin ihr erzählte, dass Nora im Jahr zuvor an Leukämie gestorben war – an einer listigen, hinterhältigen Variante, die sich in den Hinterhöfen ihres Körpers versteckt hatte, bis es zu spät war, etwas dagegen zu unternehmen. Ob Jessie vielleicht einen Termin bei Laurel Stevenson wollte, hatte die Therapeutin gefragt, aber Jessie konnte sich noch an Laurel erinnern – eine große, dunkelhaarige Schönheit mit dunklen Augen, die hochhackige Schuhe mit Riemchen hinten trug und aussah, als könnte sie Sex nur dann voll genießen, wenn sie obenauf saß. Sie sagte der Telefonistin, sie würde es sich überlegen. So viel zum Thema Therapie.
    In den drei Monaten, seit sie von Noras Tod erfahren hatte, hatte sie gute Tage (an denen sie nur Angst hatte) und schlechte Tage erlebt (an denen sie so entsetzt war, dass sie das Zimmer nicht verlassen konnte, geschweige denn das Haus), aber lediglich Brandon Milheron hatte eine Version gehört, die die fast vollständige Geschichte von Jessie Mahouts schwerer Zeit am See umfasste … und Brandon hatte die verrückteren Aspekte dieser Geschichte nicht geglaubt. Hatte Anteil genommen, ja, aber ihr nicht geglaubt. Jedenfalls anfangs nicht.
    »Kein Perlmuttohrring«, hatte er am Tag, nachdem sie ihm von dem Fremden mit dem langen weißen Gesicht erzählt hatte, gesagt. »Kein lehmiger Fußabdruck. Jedenfalls nicht in den schriftlichen Berichten.«
    Jessie zuckte die Achseln und sagte nichts. Sie hätte etwas sagen können, aber es erschien ihr sicherer zu schweigen. In den Wochen nach der Flucht aus dem Sommerhaus hatte sie dringend einen Freund gebraucht, und Brandon hatte diese Aufgabe mit Bravour erfüllt. Sie wollte ihn nicht entfremden oder mit irrem Geschwätz völlig vertreiben. Daher sagte sie ihm nicht, was er mit Sicherheit selbst schon gedacht hatte, weil er kein Dummkopf war: dass der Perlmuttohrring in jemandes Tasche verschwunden sein konnte und man einen lehmigen Fußabdruck neben der Kommode leicht übersehen konnte. Schließlich war das Schlafzimmer als Schauplatz eines Unfalls behandelt worden, nicht eines Mordes.
    Und da war noch etwas, etwas Einfaches und Direktes: Vielleicht hatte Brandon Recht gehabt. Vielleicht war ihr Besucher ja wirklich nur eine optische Täuschung des Mondlichts gewesen.
    Nach und nach hatte sie sich zumindest im Wachsein überzeugen können, dass das der Wahrheit entsprach. Ihr Space Cowboy war eine Art Rorschachmuster gewesen, nicht aus Tinte und Papier, sondern aus windgepeitschten Schatten und Einbildung. Sie machte sich deswegen freilich keine Vorwürfe; im Gegenteil. Wäre ihre Einbildung nicht gewesen, hätte sie nie gesehen, wie sie an das Wasserglas herankommen konnte, und selbst wenn sie es bekommen hätte, wäre sie nie auf die Idee gekommen, die Abokarte einer Zeitschrift als Strohhalm zu benutzen. Nein, dachte sie, ihre Einbildung hatte sich ihr Recht auf ein paar halluzinatorische Abschweifungen mehr als verdient, aber für sie selbst blieb wichtig, nicht zu vergessen, dass sie in dieser Nacht allein gewesen war. Wenn die Genesung einen Anfang hatte, dann da, wo die Fähigkeit einsetzte, die Wirklichkeit von Hirngespinsten zu trennen. Einiges davon erzählte sie Brandon. Er hatte gelächelt, sie umarmt, ihr einen Kuss auf die Schläfe gegeben und ihr gesagt, dass sie in jeder Hinsicht auf dem Weg der Besserung war.
    Dann, letzten Freitag, war ihr Blick auf die Titelgeschichte der County-News im Press Herald gefallen. Da hatte ein Umdenkungsprozess in ihr angefangen, der andauerte, während sich die Geschichte von Raymond Andrew Joubert vom anfänglichen Lückenfüller zwischen dem Veranstaltungskalender und den Polizeinachrichten der County zu riesengroßen Schlagzeilen auf Seite eins mauserte. Dann, gestern … sieben Tage nachdem Jouberts Name zum ersten Mal im Lokalteil erwähnt worden war …
    Es klopfte an der Tür, und Jessies erste Empfindung war wie gewöhnlich Angst. Sie kam und ging fast, bevor Jessie es richtig mitbekam. Fast … aber nicht ganz.
    »Meggie? Sind Sie das?«
    »Höchstpersönlich.«
    »Kommen Sie rein.«
    Megan Landis, die Haushälterin, die Jessie im Dezember eingestellt hatte (nachdem der erste fette Scheck der Versicherungsgesellschaft per Einschreiben eingetrudelt war), kam mit einem Glas Milch auf einem Tablett herein. Neben dem Glas lag eine kleine grau-rosa Pille. Beim Anblick

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