Das Spiel
sehen. Brandon denkt, ich habe verdammt gute Arbeit geleistet, verdammt tapfere Arbeit … für eine Frau. Ich glaube, als wir unsere erste Unterhaltung über meinen hypothetischen Besucher hatten, war er irgendwie zur Überzeugung gelangt, dass er sich in einer ähnlichen Situation genauso verhalten hätte … das heißt, wenn er zu allem auch noch hohes Fieber gehabt hätte. Ich glaube, die meisten Männer sind der Meinung, dass Frauen einfach so denken: wie Anwälte mit Malaria. Damit ließe sich sicher vieles an ihrem Verhalten erklären, oder nicht?
Ich spreche hier von Herablassung – Männer gegen Frauen -, aber ich spreche auch von etwas viel Größerem und viel Furchteinflößenderem. Er hat nichts verstanden, und das hat nichts mit dem Unterschied zwischen den Geschlechtern zu tun; das ist der Fluch des Menschseins und der sicherste Beweis dafür, dass wir alle im Grunde genommen allein sind. In diesem Haus sind schreckliche Dinge geschehen, Ruth, wie schrecklich habe ich erst später erfahren, und er hat das nicht verstanden. Ich habe ihm alles gesagt, damit die Angst mich nicht von innen her auffrisst, und er hat genickt und gelächelt und Anteilnahme gezeigt, und ich glaube, letztlich hat er mir damit geholfen, aber er war einer der Besten von ihnen und ist der Wahrheit nicht einmal auf Rufweite nahegekommen … wie die Angst immer weiter wuchs und zu einem riesigen schwarzen Spukhaus in meinem Kopf geworden ist. Es ist immer noch da, die Tür steht offen und lädt mich ein, jederzeit mal reinzuschauen, und ich will nie reinschauen, aber manchmal gehe ich trotzdem hin, und jedes Mal wenn ich eintrete, fällt die Tür hinter mir ins Schloss und verriegelt sich von selbst.
Nun, lassen wir das. Ich nehme an, es hätte mich erleichtern sollen, dass meine Intuition hinsichtlich der Telefonleitungen getrogen hat, aber so war es nicht. Aber ein Teil von mir glaubte – und glaubt noch -, dass das Telefon im Schlafzimmer nicht funktioniert hätte, selbst wenn ich es wieder eingesteckt hätte, dass das im Wohnzimmer vielleicht später wieder funktioniert hätte, aber auf keinen Fall damals, dass ich nur die Wahl hatte, den Mercedes zu nehmen und Fersengeld zu geben oder unter den Händen dieser Kreatur zu sterben.
Brandon beugte sich nach vorne, bis ihm das Licht der Nachttischlampe voll ins Gesicht schien, und sagte: »Es war kein Mann im Haus, Jessie, und es wäre das Beste, wenn du völlig von diesem Gedanken abkommst.«
Da hätte ich ihm fast von meinen verschwundenen Ringen erzählt, aber ich war müde und hatte Schmerzen, und daher ließ ich es sein. Nachdem er gegangen war, lag ich noch lange wach – in der Nacht konnte mich nicht einmal die Schmerztablette in Schlaf versetzen. Ich dachte an die Hautverpflanzung, die am nächsten Tag bevorstand, aber wahrscheinlich nicht so sehr, wie Du glauben magst. Am meisten dachte ich über meine Ringe und den Fußabdruck nach, den außer mir niemand gesehen zu haben schien, und ob er – es – möglicherweise zurückgekommen war und die Spuren beseitigt hatte. Kurz bevor ich dann doch eindöste, kam ich zum Ergebnis, dass es nie einen Ohrring oder Fußabdruck gegeben hatte. Dass ein Polizist meine Ringe neben dem Bücherschrank auf dem Arbeitszimmerboden gesehen und einfach eingesteckt hatte. Wahrscheinlich liegen sie in diesem Augenblick im Schaufenster eines An- und Verkaufs in Lewiston, dachte ich. Vielleicht hätte mich dieser Gedanke wütend machen sollen, aber keineswegs. Er vermittelte mir dasselbe Gefühl wie an dem Morgen, als ich am Steuer des Mercedes aufgewacht bin – ein unglaubliches Gefühl von Frieden und Wohlbefinden. Kein Fremder; kein Fremder; nirgendwo ein Fremder. Nur ein Polizist mit langen Fingern, der kurz über die Schulter gesehen hat, ob die Luft rein ist, und dann ruckzuck in die Tasche damit. Was die Ringe selbst betrifft, war mir damals wie heute einerlei, was aus ihnen geworden ist. In den letzten Monaten bin ich immer mehr zur Überzeugung gelangt, dass einem ein Mann nur deshalb einen Ring an den Finger steckt, weil es ihm gesetzlich verboten wurde, uns einen durch die Nase zu ziehen. Aber lassen wir das; der Vormittag ist zum Nachmittag geworden, der Nachmittag neigt sich zusehends dem Ende entgegen, und dies ist nicht die Zeit, Frauenprobleme zu erörtern. Es wird Zeit, über Raymond Andrew Joubert zu sprechen.
Jessie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und bekam nur am Rande mit, dass ihre Zungenspitze von der
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