Das Spiel
Tabaküberdosis brannte, ihr Kopf schmerzte und ihre Nieren nach der Marathonsitzung vor dem Mac protestierten. Nachdrücklich protestierten. Das Haus war totenstill – eine Stille, die nur bedeuten konnte, dass die zähe kleine Megan Landis zum Supermarkt und in die Wäscherei gegangen war. Jessie war verblüfft, dass Meggie gegangen war, ohne einen letzten Versuch zu unternehmen, sie vom Bildschirm wegzulocken. Dann überlegte sie sich, die Haushälterin musste gewusst haben, dass es vergebliche Liebesmüh sein würde. Am besten lässt man sie es loswerden, was es auch ist, hatte Meggie bestimmt gedacht. Und schließlich war es nur ein Job für sie. Dieser letzte Gedanke versetzte Jessie einen kleinen Stich ins Herz.
Oben quietschte eine Diele. Jessies Zigarette verweilte einen Zentimeter von den Lippen entfernt. Er ist wieder da!, kreischte Goody. O Jessie, er ist wieder da!
Aber er war nicht da. Ihr Blick fiel auf das schmale Gesicht, das sie vom Stapel der Zeitungsausschnitte ansah, und sie dachte: Ich weiß genau, wo du bist, du Hurenbock. Oder nicht?
Sie wusste es, aber ein Teil ihres Verstandes beharrte trotzdem darauf, dass er es war – nein, nicht er, es, der Space Cowboy, das Gespenst der Liebe, für ein Rückspiel zurückgekommen. Es hatte nur darauf gewartet, bis das Haus verlassen war, und wenn sie das Telefon auf dem Schreibtisch abnahm, würde sie feststellen, dass es mausetot war, wie alle Telefone im Haus am See in der fraglichen Nacht tot gewesen waren.
Dein Freund Brandon kann lächeln, so viel er will, aber wir kennen die Wahrheit, Jessie, oder nicht?
Plötzlich streckte sie die unversehrte Hand aus, riss den Telefonhörer von der Gabel und hielt ihn ans Ohr. Hörte das beruhigende Summen des Freizeichens. Legte ihn wieder hin. Ein seltsames, freudloses Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.
Ja, ich weiß genau, wo du bist, du Wichser. Was immer Goody und die anderen Stimmen denken mögen, Punkin und ich wissen, dass du einen orangefarbenen Overall anhast und in einer Zelle im County-Gefängnis sitzt – der am äußersten Ende des alten Flügels, hat Brandon gesagt, damit die anderen Insassen dich nicht kriegen und aufmischen, bevor dich der Staat vor unvoreingenommene Geschworene zerrt – wenn ein Ding wie du überhaupt unvoreingenommene Geschworene haben kann. Wir sind vielleicht nicht ganz frei von dir, aber wir werden es sein. Das verspreche ich dir.
Ihr Blick fiel wieder auf den Bildschirm, und obwohl die vage Müdigkeit nach der Tablette und dem Sandwich längst dahin war, verspürte sie die Erschöpfung bis auf die Knochen und konnte nicht glauben, dass sie zu Ende bringen würde, was sie angefangen hatte.
Es wird Zeit, über Raymond Andrew Joubert zu sprechen, hatte sie geschrieben, aber stimmte das? Konnte sie es? Sie war so müde. Logischerweise; sie hatte fast den ganzen Tag den verdammten Cursor über den Bildschirm gejagt. Hatte es auf die Spitze getrieben, wie man so sagte, und wenn man etwas lange genug auf die Spitze trieb, rächte sich das. Vielleicht wäre es das Beste, einfach raufzugehen und ein Nickerchen zu halten. Lieber spät als nie, und diese ganze Scheiße. Sie konnte das Geschriebene abspeichern, es morgen früh wieder abrufen, sich dann wieder an die Arbeit machen …
Punkins Stimme unterbrach ihren Gedankengang. Diese Stimme meldete sich jetzt nur noch selten zu Wort, darum hörte Jessie jedes Mal genau zu.
Wenn du jetzt aufhörst, Jessie, brauchst du den Brief gar nicht erst abzuspeichern. Lösch ihn einfach. Wir wissen beide, dass du nie wieder den Mut aufbringst, dich mit Joubert auseinanderzusetzen – nicht wie man sich mit etwas auseinandersetzen muss, worüber man schreibt. Manchmal erfordert es Mumm, über etwas zu schreiben, richtig? Das Ding aus dem Hinterzimmer deines Verstands herauszuführen und dort auf dem Bildschirm erscheinen zu lassen.
»Ja«, murmelte sie. »Tonnenweise Mumm. Vielleicht sogar noch mehr.«
Sie zog an der Zigarette, dann drückte sie sie halb geraucht aus. Sie blätterte die Ausschnitte ein letztes Mal durch, dann sah sie zum Fenster hinaus auf die Eastern Prom. Es hatte schon längst aufgehört zu schneien, und die Sonne schien hell, aber bestimmt nicht mehr lange; Februartage in Maine waren undankbare, fiese Geschöpfe.
»Was meinst du, Punkin?«, fragte Jessie das leere Zimmer. Sie sagte es in der hochmütigen Elizabeth-Taylor-Stimme, die sie als Kind so gerngehabt und die ihre Mutter immer völlig auf die Palme
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