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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Hilfssheriff sie losmachte, sich erkundigte, was denn vorgefallen war und obendrein gleichzeitig den blütenweißen Körper der frischgebackenen Witwe lange und gründlich in Augenschein nehmen konnte.
    Außerdem waren da noch zwei Probleme. Sie hätte viel darum gegeben, wenn sie sie wenigstens vorübergehend hätte verdrängen können, aber das konnte sie nicht. Sie musste aufs Klo und sie hatte Durst. Augenblicklich war der Drang abzulassen noch stärker als der Drang nachzufüllen, aber der Wunsch nach einem Schluck Wasser machte ihr Sorgen. Es war noch nicht der Rede wert, aber das würde sich ändern, wenn es ihr nicht gelang, die Handschellen abzustreifen und zum Wasserhahn zu gehen. Die Situation würde sich so drastisch ändern, dass sie nicht darüber nachdenken wollte.
    Es wäre komisch, wenn ich zweihundert Meter vom neuntgrößten See in Maine entfernt verdursten würde, dachte sie, dann schüttelte sie den Kopf. Dies war nicht der neuntgrößte See in Maine; wo war sie nur mit ihren Gedanken gewesen? Das war der Dark Score Lake, wo sie und ihre Eltern und ihr Bruder und ihre Schwester vor Jahren hingegangen waren. Vor den Stimmen. Vor …
    Sie unterdrückte das. Fest. Es war lange her, seit sie zum letzten Mal an den Dark Score Lake gedacht hatte, und sie wollte jetzt nicht damit anfangen, Handschellen hin oder her. Da war es schon besser, über den Durst nachzudenken.
    Was gibt es da nachzudenken, Süße? Der ist psychosomatisch, das ist alles. Du hast Durst, weil du weißt, dass du nicht aufstehen und etwas trinken kannst. So einfach ist das.
    Aber so war es nicht. Sie hatte einen Streit mit ihrem Mann gehabt, und die beiden Tritte, die sie ihm verpasst hatte, hatten eine Kettenreaktion ausgelöst, die schließlich zu seinem Tod führte. Sie selbst litt an den Nachwirkungen eines heftigen Hormonstoßes. Der Fachausdruck dafür war Schock, und eine Begleiterscheinung von Schock war Durst. Sie konnte sich wahrscheinlich glücklich schätzen, dass ihr Mund nicht trockener war, zumindest bis jetzt, und …
    Und vielleicht kann ich dagegen etwas tun.
    Gerald war der Inbegriff eines Gewohnheitstiers, und eine seiner Gewohnheiten war, dass er immer ein Glas Wasser auf dem Regal über dem Kopfteil des Betts stehen hatte. Sie drehte den Kopf hoch und nach rechts, und tatsächlich, da stand es, ein großes Glas Wasser, in dem schmelzende Eiswürfel schwammen. Das Glas stand zweifellos auf einem Untersetzer, damit es keinen Ring auf dem Regal hinterließ – so war Gerald, stets rücksichtsvoll bei Kleinigkeiten. Kondensationströpfchen überzogen das Glas wie Schweißperlen.
    Als sie das sah, verspürte Jessie den ersten Anflug von richtigem Durst. Sie leckte sich die Lippen. Sie rutschte so weit nach rechts, wie es die Kette der linken Handschelle zuließ. Das waren zwar nur fünfzehn Zentimeter, aber sie kam damit auf Geralds Seite des Betts. Die Bewegung ließ auch mehrere dunkle Flecken auf der linken Seite des Betttuchs erkennen. Sie betrachtete diese einige Augenblicke verständnislos, bis ihr einfiel, wie Gerald im letzten Todeskampf die Blase entleert hatte. Dann richtete sie den Blick rasch wieder auf das Glas Wasser, das da oben auf einem Stück Pappkarton stand, das möglicherweise irgend so ein Yuppie-Gebräu anpries, Becks oder Heineken erschienen am wahrscheinlichsten.
    Sie streckte die Hand langsam nach oben und wünschte sich, sie käme weit genug. Kam sie nicht. Ihre Fingerspitzen reichten nur bis sechs Zentimeter vor das Glas. Der Anflug von Durst – ein leichtes Zusammenschnüren des Halses, ein schwaches Kribbeln auf der Zunge – kam und ging wieder.
    Wenn niemand kommt oder mir’s nicht gelingt, mich bis morgen früh zu befreien, werde ich das Glas nicht einmal mehr ansehen können.
    Dieser Vorstellung war eine kalte Vernunft zu eigen, die an und in sich entsetzlich war. Aber sie würde morgen früh nicht mehr hier sein, das war das Entscheidende. Dieser Gedanke war vollkommen lächerlich. Sogar wahnsinnig. Plemplem. Es lohnte sich nicht, darüber nachzudenken. Er …
    Hör auf, sagte die Ohne-Scheiß-Stimme. Hör einfach auf. Und sie gehorchte.
    Sie musste der Tatsache ins Gesicht sehen, dass die Vorstellung nicht vollkommen lächerlich war. Sie weigerte sich, die Möglichkeit zu sehen oder gar einzurechnen, dass sie hier sterben konnte – das war selbstverständlich plemplem -, aber sie konnte lange, ungemütliche Stunden hier verbringen, wenn sie die Spinnweben an der alten

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