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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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unerwarteter Joker könnte aus dem Blatt zutage kommen. Was für ein Joker? Nun, dachte sie, sagen wir nur, es könnte ein Teil in Gerald gewesen sein, der wirklich glaubte, dass eine Frau nur ein Lebenserhaltungssystem für eine Fotze war … und ein anderer Teil von ihm, den ich in Ermangelung eines besseren Ausdrucks »Geralds bessere Natur« nennen könnte, das wusste. Dieser Teil könnte Angst gehabt haben, dass die Situation außer Kontrolle geriet. Ist nicht genau das auch passiert?
    Es war ein Gedanke, dem man nur schwerlich widersprechen konnte. Wenn dies nicht der Definition von außer Kontrolle entsprach, was dann?, überlegte Jessie.
    Sie verspürte einen Augenblick sehnsüchtiger Traurigkeit und musste sich zwingen, nicht dorthin zu sehen, wo Gerald lag. Sie wusste nicht, ob sie Trauer für ihren verstorbenen Mann in sich hatte oder nicht, aber sie wusste, falls welche da war, war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, sich damit zu beschäftigen. Trotzdem war es schön, sich an etwas Gutes an dem Mann zu erinnern, mit dem man so viele Jahre zusammengelebt hatte, und die Erinnerung, wie er manchmal nach dem Sex neben ihr eingeschlafen war, war gut. Sie hatte die Schals nicht gemocht und die Handschellen verabscheut, aber sie hatte ihn gern betrachtet, wenn er eindöste; hatte gern gesehen, wie die Falten aus seinem großen rosa Gesicht verschwanden.
    Und in gewisser Weise schlief er jetzt wieder neben ihr … oder nicht?
    Dieser Gedanke zauberte sogar auf ihre Oberschenkel Gänsehaut, wo der schrumpfende Streifen Sonnenschein lag. Sie verdrängte den Gedanken – versuchte es jedenfalls – und studierte wieder das Kopfende des Betts.
    Die Pfosten waren etwas weiter innen als die Seitenbretter, so dass ihre Arme gespreizt waren, aber nicht schmerzhaft, schon wegen der zwölf Zentimeter Bewegungsfreiheit, die die Ketten der Handschellen ihr ließen. Vier horizontale Bretter verliefen zwischen den Pfosten. Diese bestanden ebenfalls aus Mahagoni und waren mit einfachen, aber hübschen Wellenlinien geschmückt. Gerald hatte einmal vorgeschlagen, sie sollten ihre Initialen ins Kopfteil schnitzen lassen – er kannte einen Mann in Tashmore Glen, der mit Vergnügen herfahren und es machen würde, sagte er -, aber sie hatte Eiswasser auf diesen Vorschlag geschüttet. Es kam ihr wichtigtuerisch und kindisch zugleich vor, wie ein Paar verknallter Teenager, die Herzen in ihre Schulbänke schnitzten.
    Das Regal befand sich über dem obersten Brett, hoch genug, damit sich niemand beim Aufsitzen den Kopf anstoßen konnte. Dort standen Geralds Glas Wasser, ein paar Taschentücher, die vom letzten Sommer übrig geblieben waren, und an ihrem Ende eine kleine Auswahl Kosmetika. Auch diese waren vom vergangenen Sommer übrig geblieben, und sie vermutete, dass sie ausgetrocknet waren. Eine Affenschande – nichts konnte eine mit Handschellen gefesselte Frau besser aufmuntern als ein bisschen Rouge Marke Country Morning Rose. Das konnte man in allen Frauenzeitschriften nachlesen.
    Jessie hob langsam die Hände und winkelte die Arme ein wenig an, damit die Fäuste nicht gegen die Unterseite des Regals drückten. Sie hielt den Kopf nach hinten gestemmt, weil sie sehen wollte, was sich am anderen Ende der Ketten abspielte. Die anderen Ösen waren zwischen dem zweiten und dritten Brett um die Pfosten geschlungen. Als sie die Hände hob und aussah wie eine Frau, die eine unsichtbare Hantel stemmte, rutschten die Handschellen an den Pfosten hinauf bis zum nächsten Brett. Wenn es ihr gelang, dieses Brett wegzudrücken, und das darüber, konnte sie die Handschellen einfach über die Enden der Bettpfosten schieben. Voilà.
    Wahrscheinlich zu schön, um wahr zu sein, Herzchen – zu einfach, um wahr zu sein -, aber du könntest es immerhin versuchen. Es wäre zumindest ein Zeitvertreib.
    Sie klammerte die Hände um das geschnitzte Querbrett, das das erste Hindernis für die Handschellen an den Bettpfosten bildete. Sie holte tief Luft, hielt den Atem an und drückte. Ein heftiger Ruck sagte ihr, dass auch das zum Scheitern verurteilt war; es war, als wollte sie eine Eisenstange aus Stahlbeton ziehen. Sie spürte nicht, dass das Brett auch nur einen Millimeter nachgegeben hätte.
    Ich könnte zehn Jahre an diesem Scheißding ziehen und würde es nicht einmal bewegen, geschweige denn aus dem Bettpfosten ziehen, dachte sie und ließ die Hände wieder in die vorherige schlaffe, angekettete Position über dem Bett sinken. Ein verzweifelter,

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