Das Spiel
Stück. »Ich war verletzt, im Fieber und verzweifelt, Ihr Herren. Ich habe nicht weitergedacht, sondern nur gehofft, Hilfe bei meinem Freund Chert Blauquarz zu finden. Dafür bitte ich um Verzeihung.«
»Torheit ist keine Entschuldigung!«, rief Cherts Bruder Knoll. Mehrere andere Ratsmitglieder brummelten zustimmend.
»Aber Verzweiflung führt manchmal natürliche Verbündete zusammen«, sagte Zinnober, und viele andere Ratsmitglieder nickten. In seiner kurzen Herrschaftszeit hatte Hendon Tolly den Funderlingen bereits sämtliche Bauarbeiten innerhalb der Burg entzogen. Er hielt alle Pläne geheim und beschäftigte nur handverlesene eigene Männer, die er aus Gronefeld kommen ließ. Viele Zunftratsmitglieder fürchteten bereits um ihre Existenz — die Arbeiten an der weitläufigen Südmarksburg hatten in den letzten Jahren einen Gutteil ihrer Einkünfte geliefert. Chert hoffte, dass sie diese Tatsache etwas risikofreudiger machen würde, als sie es sonst waren.
»Möchte noch jemand etwas sagen?«, fragte Vorsteher Sard, nachdem Magister Puddingstein aus der Mergelfamilie in einem weitschweifigen Redebeitrag ein weiteres Mal zur Vorsicht gemahnt hatte. »Oder können wir jetzt zur Entscheidung kommen?«
»Welcher Entscheidung, hoher Vorsteher?«, fragte Zinnober. »Mir scheint doch, wir haben dreierlei zu klären. Wie, wenn überhaupt, sollen wir mit Chert Blauquarz verfahren, weil er Außenstehende in die Mysterien mitgenommen hat? Wie, wenn überhaupt, sollen wir den Knaben Flint dafür bestrafen, dass er ohne Erlaubnis in die Mysterien vorgedrungen ist (wenn er auch für diesen Dummejungenstreich bereits reichlich gebüßt zu haben scheint, da er danach tagelang krank war)? Und wie verfahren wir mit diesem Herrn, dem Hofarzt Chaven, und dem, was er über die Tollys und ihre Anschläge auf die königliche Familie sagt?«
»Danke, Magister Quecksilber«, sagte Vorsteher Deckstein Gneis. »Ihr habt die Angelegenheit hervorragend zusammengefasst. Und als derjenige im Rat, der in dieser Sache am besten informiert ist, mögt Ihr bleiben und uns vieren bei der Entscheidungsfindung helfen.«
Chert fasste wieder Mut. Ein Ratsmitglied wurde immer bei der Urteilsfindung hinzugezogen, damit es nicht zu einem Patt zwischen den vier Häusern kommen konnte, und er hätte sich dafür keinen Besseren wünschen können als Zinnober.
Die fünf standen auf — wobei Sard sich schwer auf Zinnobers Arm stützte — und zogen sich in das Vorsteherkabinett zurück, einen Nebenraum des Ratssaals, der, wie Chert gehört hatte, luxuriös eingerichtet war, mit einem eigenen Wasserfall und mehreren bequemen Liegesofas. Das hatte er von seinem Bruder Knoll, der jede Gelegenheit nutzte, den Statusunterschied zwischen sich und Chert hervorzukehren. Knoll war vor Jahren einmal als fünfter Mann hinzugezogen worden und redete immer noch davon, als passierte das jeden Tag.
In Abwesenheit der Vorsteher gingen die anderen im Ratssaal umher und unterhielten sich. Manche, die mit einer langen Beratungszeit rechneten, verschwanden sogar kurz in der Schenke um die Ecke. Chert, der das deutliche Gefühl hatte, dass er das allgemeine Gesprächsthema war — und nicht im positiven Sinne — ging zu Chaven, der mit trübseliger Miene auf einer Bank an der Außenwand saß.
»Ich fürchte, ich habe Euch nichts als Ärger gebracht, Chert.«
»Unsinn.« Chert gab sich alle Mühe zu lächeln. »Ein bisschen schon, keine Frage, aber wenn ich in der gleichen Lage zu Euch gekommen wäre, hättet Ihr das Gleiche für mich getan.«
»Hätte ich das?« Chaven schüttelte den Kopf und stützte dann das Kinn in die Hände. »Ich weiß es manchmal nicht. Alles ist so anders, seit ich in den Besitz dieses Spiegels gekommen bin. Ich fühle mich nicht mal mehr ganz wie derselbe Mensch. Es ist schwer zu erklären.« Er seufzte. »Aber ich bete, dass Ihr recht habt. Ich hoffe, auch wenn er mich noch so gründlich in seinen Klauen hält, bin ich darunter doch noch derselbe.«
»Natürlich seid Ihr das«, sagte Chert herzlich und tätschelte den Arm des Arztes, aber in Wirklichkeit machte ihn dieses Gerede ein bisschen nervös. Wie konnte ein simpler Spiegel einen so gebildeten Mann wie Chaven derartig aus der Bahn werfen? »Vielleicht macht Ihr Euch einfach zu viele Gedanken. Vielleicht sollten wir gar nichts von Eurem Spiegel sagen, dem, den Bruder Okros gestohlen hat.«
»Nichts davon sagen?« Einen Moment sah Chaven ganz anders aus, kälter und zorniger als
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