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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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unmittelbarer Nähe des königlichen Palastes anlangte, wo die Leute zumindest keine Angst haben mussten zu verhungern. Selbst diese vergleichsweise wohlgenährten Höflinge hatten etwas Wölfisches, als ob auch die nettesten und fröhlichsten unter ihnen einen Großteil ihrer Gedanken darauf verwandten, wie sie sich wem gegenüber verhalten würden, wenn sich die Lage weiter verschärfte und sie ums Überleben kämpfen mussten.
    Auch die Burg selbst sah anders aus. Die Mauern um die Hauptburg waren mit Gerüsten versehen und wimmelten von Wachen, auf den Grünflächen tummelten sich Tiere (vor allem Schweine und Schafe), die Brunnen wurden von Soldaten bewacht, und auf den engen Straßen und öffentlichen Plätzen schienen doppelt so viele Menschen unterwegs wie sonst. Doch als er das Geleitschreiben von Okros vorzeigte, wurde er nur einer flüchtigen Musterung unterzogen, ehe man ihn durchs Rabentor ließ. Allerdings glaubte er einige der Torwachen wenig freundliche Dinge über Funderlinge brummen zu hören. Es war wahrhaftig nicht das erste Mal, dass Chert so etwas erlebte, aber die Vehemenz in den Stimmen überraschte ihn doch.
    Nun ja, schlechte Zeiten, schlechte Nachbarn,
sagte er sich.
Und es gab ja immer schon Gerüchte, dass der König uns durchfüttert — als ob wir Tiere in einer Menagerie wären und unser Brot nicht ehrlich verdienen würden, wie wir es immer getan haben. Genau die Sorte Gerede, die die Leute in harten Zeiten gegen uns aufwiegelt.
    Es bestürzte ihn, feststellen zu müssen, dass Okros sich ganz offen in Chavens Wohnräumen im Observatorium eingenistet hatte, aber andererseits war das wohl nur logisch. Und offiziell kannte er Chaven ja gar nicht, also würde er ganz bestimmt kein Wort darüber verlieren.
    Ein segelohriger, junger Gehilfe im Gewand der Ostmark-Akademie öffnete ihm die Tür und führte ihn schweigend ins eigentliche Observatorium, einen hohen Raum, dessen Dach sich teilweise öffnen ließ und wo es modrig roch. Okros, der an einem Tisch voller Bücher saß, erhob sich und klopfte sich die dunkelrote Robe ab. Er war ein schlanker Mann mit einem weißen Haarkranz und einem angenehmen, klugen Gesicht. Es fiel schwer zu glauben, dass er der Schurke sein sollte, für den ihn Chaven hielt, auch wenn Chert selbst ihn mit Hendon Tolly über Chavens Spiegel hatte reden hören.
    Auf jeden Fall würde er Zurückhaltung wahren. Er verbeugte sich. »Ich bin Chert Blauquarz. Die Steinhauerzunft schickt mich.«
    »Ja, Ihr wurdet bereits erwartet. Und Ihr versteht Euch auf Spiegel?«
    Chert wählte seine Worte vorsichtig. »Ich bin ein Blauquarz. Wir gehören zur Kristallsippe, und ein Spiegel ist auch nur ein aus Kristall oder Glas gefertigter Gegenstand. Deshalb stehen sämtliche Spiegelarbeiten der Funderlinge unter unserer Aufsicht. Ja, Herr, ich weiß einiges über Spiegel. Ob es für Euer Anliegen reicht, wird sich zeigen.«
    Okros taxierte ihn. »Nun gut. Ich werde Euch hinbringen.«
    Nachdem der Gelehrte eine Laterne vom Tisch genommen hatte, führte er Chert aus dem hohen Observatoriumsraum und durch eine Reihe von Gängen und Treppenschächten immer weiter abwärts. Chert war noch nicht so oft bei Chaven gewesen, dass er sich vorstellen konnte, wo sie sich befanden. Er fürchtete schon, Okros würde ihn zu der Geheimtür bringen, die er immer benutzt hatte, um Chaven zu besuchen, und war sich fast sicher, dass dieser Mann wusste, wer er war und was ihn hierher führte. Doch als sie mehrere Stockwerke hinabgestiegen waren, schloss der schmächtige Arzt eine Tür am Hauptflur auf und winkte Chert in den dahinterliegenden Raum. Auf einem ansonsten leeren Tisch befand sich etwas, das mit einem Tuch bedeckt war und aussah wie ein bizarr geformter Leichnam, der der Bestattung harrte — oder der Auferstehung.
    Vorsichtig nahm Okros das Tuch ab. Der Spiegel sah genauso aus, wie ihn Chaven beschrieben hatte, aber Chert gab sich alle Mühe, so zu tun, als hätte er noch nie von ihm gehört. Geschnitzte Hände mit verschiedenen Fingerhaltungen zierten den dunklen Rahmen im Wechsel mit grob vereinfachten, aber eindringlich blickenden Augen. Auch die Wölbung war da: Das Glas war gerade konvex genug, um das Spiegelbild für einen sich bewegenden Betrachter leicht instabil zu machen, wodurch es sehr irritierend war, länger hineinzuschauen.
    »Und was genau möchtet Ihr wissen, Herr?«, fragte Chert. »Er sieht aus wie ein ganz normaler ... ich meine, er wirkt ... unbeschädigt.«
    »Ja, ich

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