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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht mehr, wie, also fragte er einfach nur geradeheraus: »Habt Ihr in dem Spiegel irgendetwas Ungewöhnliches gesehen? Vögel oder sonstige Tiere?«
    Okros sah ihn an, als wären Chert selbst plötzlich Flügel oder ein Schwanz gewachsen. »Nein«, sagte er schließlich. »Nein, ich sagte doch, er ist gänzlich tot.«
    »Ah ja, natürlich.« Chert verbeugte sich, hängte sich die Schiefertafel wieder um und entfernte sich rückwärts in Richtung Tür. Jetzt erschien ihm Okros schon nicht mehr so freundlich und harmlos wie vorher. »Habt Dank für die Ehre, Euch behilflich sein zu dürfen, Herr. Ich werde mich mit meinen Zunftgenossen beraten und bald wieder hier sein.«
    »Ja. Aber lasst Euch nicht zu viel Zeit.«
     
    Da Chert der Kälte wegen die Kapuze aufhatte, bemerkte er die Gestalt, die sich aus dem Schattendunkel beim Rabentor löste, erst in dem Augenblick, als er beinah mit ihr zusammenprallte — obwohl sie doppelt so groß war wie er. Erschrocken sah er auf, erkannte sie aber nicht gleich. Er hatte sie ja nur einmal gesehen, und das war schon über einen Monat her.
    »Ihr seid die, die bei mir zu Hause war«, sagte er. Sie wirkte noch genauso abwesend, wie eine Schlafwandlerin. »Ihr habt mir Euren Namen gar nicht genannt.«
    »Willow«, sagte die junge Frau. »Aber das ist unwichtig. So hieß eine, die jetzt weg ist oder eine andere geworden ist.« Sie rührte sich nicht von der Stelle. Offensichtlich wollte sie etwas von ihm, aber Chert hatte das Gefühl, dass sie nie damit herausrücken würde, wenn er nicht fragte — dass sie einfach nur beide hier stehen würden, bis es dunkel und dann wieder hell würde.
    »Möchtet Ihr irgendetwas?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nichts, was Ihr mir geben könntet.«
    Cherts Geduld — ohnehin nicht seine größte Stärke — war in diesem Jahr schon reichlich strapaziert worden, und offensichtlich hatte es damit immer noch kein Ende. »Wenn Ihr mich dann bitte entschuldigen würdet — meine Frau wartet mit dem Abendessen.«
    »Ich wollte mit Euch über den reden, den sie Gil nennen«, sagte sie.
    Jetzt fiel es Chert wieder ein. »Ah ja, natürlich. Ihr standet ihm sehr nahe, stimmt's?« Sie sagte nichts, sah ihn nur erwartungsvoll an. »Tut mir leid, aber wir wurden beide von den Elbenkriegern gefangen genommen. Mich haben sie laufen lassen, aber ihre Königin oder Feldherrin, oder was sie auch war, hat Gil zum Tode verurteilt. Er ist tot. Tut mir schrecklich leid, dass ich nichts mehr für ihn tun konnte.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er ist nicht tot.«
    Er sah den Ausdruck in ihren Augen. »Natürlich, seine Seele lebt weiter, ganz ohne Zweifel. Aber jetzt muss ich los. Es tut mir wirklich sehr leid, dass es so gekommen ist.«
    Die junge Frau lächelte, beinah ein normales Lächeln, aber immer noch auf diese seltsame Art entrückt. »Nein, er ist nicht tot. Ich höre seine Stimme. Er spricht jeden Tag mit der Stachelschweinfrau. Was er sagt, gefällt ihr gar nicht, weil er nämlich mit der Stimme des Königs spricht.«
    »Wovon redet Ihr?«
    »Spielt keine Rolle. Ich wollte Euch nur sagen, dass ich Gil gestern von Euch habe sprechen hören, oder vielleicht war es auch heute.« Sie schüttelte den Kopf, als ob Chert doch wissen müsse, wie schwer es war, sich genau zu erinnern, wann man zuletzt etwas von Toten gehört hatte. »Er sagte, er wünschte, er könnte Euch und Eurem Volk sagen, dass ihr unter der Burg nicht sicher seid. Dass sich die Welt bald verändert, und dass die Tür unter der Funderlingsstadt aufgehen und die tote Zeit entweichen wird.« Sie nickte, als hätte sie ein kleines Kunststück ganz annehmbar vollbracht. »Jetzt gehe ich.«
    Sie drehte sich um und ging davon.
    Chert stand in den länger werdenden Schatten und spürte ein Frösteln, das selbst dieser kalte Tag nicht zu erklären vermochte.

31

Das dunkeläugige Mädchen
    Als die Götter hundert Jahre gekämpft hatten, war Bleiche Tochter so verzweifelt, dass sie beschloss, hinauszugehen und sich ihrem Vater zu ergeben, damit der Krieg ein Ende hätte, aber ihr Gemahl Silberglanz und seine Geschwister wollten sie nicht gehen lassen, weil sie um ihr Leben fürchteten. Doch ihr Vetter Trickster kam heimlich zu ihr, spielte ihr eine liebliche Weise auf seiner Flöte vor und erklärte, er werde ihr helfen, sich aus dem Haus ihres Gemahls zu schleichen. Trickster wollte sie für sich haben, und sein Plan wäre beinahe gelungen, doch dann erhob sich ein mächtiger Sturm, und er

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