Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Dutzend hungriger, wütender, kläffender Hunde, die meist den Sieg davontrugen, Wahrsager, Huren, Briefschreiber und Wunderheiler und alles, aber auch alles, was man essen oder trinken konnte.
Julian erstand zwei leuchtende Orangen, denen er nie widerstehen konnte, gab eine davon Roland, und sie schlenderten weiter, schälten ihre Früchte und bissen hinein. Unbekümmertließen sie sich den klebrigen Saft übers Kinn laufen, und als Julian ein paar Tropfen davon auf der Brust seines feinen Surkots entdeckte, bemerkte er achselzuckend: »Jetzt sehe ich aus wie König Henry. Lass uns sagen, es ist ein geheimes Erkennungszeichen der Lancastrianer.«
Roland grinste flüchtig und fragte dann: »Wie geht es dem alten König? Wart Ihr noch mal bei ihm?«
»An Palmsonntag. Er war wie die letzten Male bei klarem Verstand, aber bei angeschlagener Gesundheit. Er ist sehr besorgt darüber, wie die politische Lage sich entwickelt hat.«
»Tja. Wer ist das nicht.«
Am Stand einer dicken Bäckersfrau ein Stück links vor ihnen brach ein kleiner Tumult aus. Die Bäckerin zeterte, ihr Standnachbar und ein Passant hielten einen jungen Burschen gepackt, und sie drosch mit ihren fleischigen Fäusten auf ihn ein und nannte ihn einen Langfinger. Erfolglos versuchte der junge Dieb, sich loszureißen. Seine Augen waren schreckgeweitet und starr.
Solche Szenen gab es auf einem großen Jahrmarkt wie diesem natürlich ein Dutzend Mal am Tag, und Julian engagierte alljährlich eine wachsende Zahl kräftiger Männer, die als Büttel für Ordnung sorgen sollten. Doch keiner von ihnen schien in der Nähe zu sein, also beschleunigte Julian seine Schritte, um die Angelegenheit zu regeln, ehe die Geschädigte dem Übeltäter die Nase, die bereits munter sprudelte, gänzlich abriss.
Beschwichtigend legte er die Hand auf den keulengleichen, zum Schlag erhobenen Arm. »Was gibt es denn, Mistress?«
Sie fuhr zu ihm herum, die Augen im feisten Gesicht verengt, der Mund verkniffen. Aber sie erkannte sein Wappen und wusste augenblicklich, wen sie vor sich hatte. Sie knickste. »Dieser kleine Hurensohn hier hat mir ein Mandelhörnchen gestohlen! Seht ihn Euch an, Mylord, ein Rumtreiber und Taugenichts, der in seinem Leben vermutlich noch keinen Schlag Arbeit getan hat, um sein Brot zu verdienen! Bestiehlt anständige Christenmenschen, die sich abrackern, um ein Auskommen zu haben. Windelweich geprügelt gehört so einer!«
Julian nickte. Er fand, sie machte ein ziemliches Gewese um ein einziges Mandelhörnchen, aber grundsätzlich hatte sie natürlich Recht. »Hast du das Backwerk noch?«, fragte er den Dieb.
Der schüttelte den Kopf und schlug den Blick nieder. Seine Wangen brannten vor Scham.
»Er hat es runtergeschlungen, als gäb’s morgen keine mehr«, knurrte die Bäckerin.
Der Grund war unschwer zu erkennen: Der Jüngling war so mager, dass er krank wirkte. Er hungerte.
»Dann wirst du es bezahlen müssen«, beschied Julian ihm.
Der Junge schluckte sichtlich. »Wenn ich das könnte, hätte ich’s getan, Mylord.« Er sah Julian in die Augen, und sein Blick war ein stummes Flehen. Der Earl of Waringham hatte keine Mühe, es zu deuten: Hilf mir, rette mich aus dieser schmachvollen Lage, denn ich bin von deinesgleichen. Das verrieten die guten, wenn auch zerrissenen und staubigen Kleider, die Haltung von Kopf und Schultern, die Sprache, sogar die Form der Gesichtszüge.
Julian erwiderte den Blick offen und wartete.
Schließlich wandte der Junge sich an die Bäckerin und verneigte sich knapp. »Ich bitte Euch um Vergebung, dass ich Euch bestohlen habe, Mistress.« Es war nicht zu überhören, dass es ihm unendlich schwerfiel, sich in solcher Weise vor dieser Furie zu erniedrigen, aber er tat es formvollendet und mit Aufrichtigkeit.
»Davon hab ich nichts, Jungchen«, knurrte sie.
Julian reichte ihr einen Farthing.
Mit einem ungnädigen Brummen steckte sie ihn ein, und Julian beschloss, dass der Übeltäter genug gebüßt hatte. Er nickte der Frau zu, nahm den Jungen beim Arm und führte ihn weg von dem allgemeinen Trubel zum Tain. Roland folgte.
Im frühlingshellen Ufergras blieben sie stehen, und der abgerissene Jüngling kniete sich hin, schöpfte Wasser aus dem Fluss und wusch sich das Blut vom Gesicht. Dann stand er wieder auf, machte einen Diener vor Julian und sagte: »MortimerWelles, Mylord. Mein Großvater war Sir Mortimer Dermond of Sutton.«
Jesus, Maria und Josef, dachte Julian, noch ein Cousin. »Ein Halbbruder meines
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