Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
Vaters«, bemerkte er, um dem Jungen zu bedeuten, dass er von ihrer Verwandtschaft wusste und sie anerkannte.
Erleichterung flackerte über das magere Gesicht, doch der gehetzte Ausdruck kehrte sofort zurück.
»Willkommen in Waringham, Mortimer, auch wenn ich wünschte, du hättest dich auf andere Weise eingeführt«, sagte Julian streng.
»Ich weiß, Mylord.« Scham quälte den Jungen, vermischt mit Zorn und Trauer. »Ich … habe keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. Ich hatte nicht die Absicht, die Frau zu bestehlen. Ich kann mich auch nicht erinnern, den Entschluss gefasst zu haben. Die Hörnchen dufteten so verführerisch, und … Na ja. Ich bin nicht an Hunger gewöhnt. Meine Hand hat zugegriffen, ehe mein Verstand es verhindern konnte.«
»Eine Ausrede, die schon so mancher Mann unter dem Galgen vorgebracht hat«, bemerkte Julian.
»Meine Güte, lasst doch gut sein, Mylord. Seht Ihr denn nicht, dass er völlig am Ende ist?«, mischte Roland sich ein.
Er erntete einen finsteren Blick, aber nichts sonst.
Roland reichte dem Jungen die Hand. »Roland Neville, Vetter.«
Mortimer lächelte matt und schlug ein, doch seine Augen kehrten sofort wieder zu Julians sturmumwölkter Miene zurück. »Habt Dank, dass Ihr meine Schuld beglichen habt, Mylord«, sagte er unglücklich. »Ich werde Eure Großmut nicht weiter in Anspruch nehmen. Lebt wohl.« Er wandte sich ab.
»Halt, halt«, widersprach Julian verblüfft und hielt ihn am Arm zurück. »Sag mir, wie alt bist du, Mortimer?«
»Vierzehn, Mylord.«
Julian hatte ihn zwei Jahre älter geschätzt. »Und wieso bist du nicht gleich zu mir gekommen, wenn du in Not bist?«
»Ich war auf der Suche nach Euch. Aber heute war wohl nicht der glücklichste Tag, um herzukommen. Ich konnte Euch einfach nicht finden.«
Das glaubte Julian mühelos. Er beschloss, den schlechten Eindruck vorerst außer Acht zu lassen, den er von dem Jungen gewonnen hatte. »Was ist geschehen?«, fragte er. »Wer ist dein Vater? Doch nicht Sir Robert Welles?« Warwicks »Mann fürs Grobe« hatte sich während der turbulenten Wochen im letzten Sommer nicht gerade Julians Sympathie erworben.
Mortimer schüttelte den Kopf. »Er war mein Onkel.«
»War?«
»Ja, Mylord. Er ist tot. Sie sind alle tot. Mein Onkel Robert und mein Vater, Sir John Welles, haben für den Earl of Warwick und den Duke of Clarence Waffen gegen König Edward geführt und sind gefallen. Dann sind königliche Truppen auf unser Gut gekommen und haben uns weggejagt. Alle Ländereien unserer Familie wurden konfisziert.«
Das hieß wohl, dass Warwick und sein trunksüchtiger Schwiegersohn, der Duke of Clarence, mit ihrer Rebellion am Ende waren, schloss Julian. Die bewaffnete Revolte der mächtigen Welles war ihr letzter Trumpf gewesen.
»Was ist mit deiner Mutter und deinen Geschwistern?«, fragte er.
Mortimer schüttelte den Kopf. »Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Ich habe keine Geschwister. Ich habe …« Er brach ab und räusperte sich.
Aber Julian konnte sich denken, was er hatte sagen wollen: Mortimer hatte niemanden mehr auf der Welt. Kein Land, das ihn ernähren, kein Dach, unter dem er sein Haupt betten konnte. Der Earl legte ihm für einen Moment die Hand auf den Arm, ließ sie aber gleich wieder sinken. »Komm mit auf die Burg. Du brauchst etwas Anständiges zu essen. Und dann musst du mir berichten, was genau sich zugetragen hat.«
Der Junge verneigte sich nochmals. »Ich berichte Euch gern alles, was ich weiß, Mylord. Aber ich will keine Almosen. Ich bin auch unter normalen Umständen kein Dieb. Wenn es hierirgendeine Arbeit gibt, die ich tun kann, um mein Brot zu verdienen, dann … wäre ich überaus dankbar.«
Seine gemäßigten Worte verbargen das Ausmaß seiner Verzweiflung nur unzureichend, aber Julian rechnete ihm den tapferen Versuch hoch an. Er lächelte. »Ich bin sicher, wir werden etwas Geeignetes finden. Aber zuerst musst du essen. Komm.« An Roland gewandt, sagte er: »In einer halben Stunde fangen sie auf dem Jahrmarkt an, die Ackergäule zu verkaufen. Ich möchte, dass du hingehst und dafür sorgst, dass niemand gar zu schamlos betrogen wird.«
»Ja, Mylord.«
»Danach gehst du ins Gestüt und vergewisserst dich, dass unsere Rösser auf Hochglanz gestriegelt sind und unwiderstehlich aussehen.«
»Ja, Mylord.«
»Wenn du damit fertig bist, sieh dir den Verkaufsring im Burghof an und sorg dafür, dass er nicht wieder zu klein abgesteckt wird.«
»Gewiss doch, Mylord.
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