Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
ihrer Eltern bezogen hatten. Sie verbrachte viel Zeit dort, spielte mit sehr wechselhaftem Erfolg auf der Harfe ihrer Mutter, schwelgte in Erinnerungen und kramte in der großen Truhe neben dem Fenster, wo sie alle möglichen Schätze fand. Zu manchen fiel ihr eine Geschichte ein, wie zu dem einzelnen Handschuh ihrer Mutter oder dem missglückten Siegelring ihres Vaters etwa. Andere Gegenstände fand sie, die sie nie zuvor gesehen hatte: eine schwarze Haarlocke, die von einem grünen Seidenband gehalten wurde. Eine verblichene blaue Samtschleife. Ein Büchlein mit Gedichten in einer fremden Handschrift. Dann ein Stück Pergament, souralt, dass es brüchig und dunkel geworden war. Stirnrunzelnd betrachtete sie die energisch geschwungenen, aber verblassten Buchstaben.
»Was hast du da?«, fragte Jasper mit mäßigem Interesse. Er saß auf der Fensterbank und hatte die Harfe gespielt – weitaus besser als Blanche –, aber nun ließ er die Saiten verstummen.
»Weiß der Teufel«, murmelte sie abwesend. »Hier steht: ›Mein Vater sagt, ein Mann solle jedes Mahl so genießen, als sei es sein letztes. Aber lasst uns hoffen, dass dies nicht Eure Henkersmahlzeit wird. Noch ist unsere Partie nicht verloren. Trinkt auf mein Wohl, ich sinne auf das Eure. L.‹ Es sieht aus, als wär es hundert Jahre alt.«
»Lass mal sehen.« Er streckte die Hand aus.
Blanche erhob sich vom Fußboden, rieb sich die schmerzenden Knie und brachte ihm die kryptische Nachricht. Behutsam legte sie das Pergament in seine schwielige, kräftige Hand.
Jasper beugte den Kopf darüber, und wie so oft konnte sie nicht anders, als die Lippen auf den blonden Schopf zu drücken. Doch er ließ sich nicht ablenken. »Das ist in der Tat sehr alt«, sagte er schließlich. »Ich kann dir nicht sagen, was die Botschaft zu bedeuten hat, aber ich kenne die Handschrift und dieses markante L. Das hat John of Gaunt geschrieben, Blanche. Der Urvater des Hauses Lancaster.« Er klang beinah ehrfürchtig.
»Mein Großvater stand in seinen Diensten.«
»Dann galt dies gewiss ihm. Es ist bedauerlich, dass du nicht weißt, was es damit auf sich hatte. Dein Vater und Großvater hätten eure Familiengeschichte besser bewahren müssen.«
Sie hob die Schultern. »Vielleicht weiß Julian etwas darüber. Vater hat ihm viele Dinge erzählt, von denen ich nie etwas gehört habe, glaube ich.«
»Wirklich? Ich dachte, dein Vater und dein Bruder haben nicht mehr als zwingend notwendig miteinander gesprochen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur die letzten Jahre. Früher waren sie ein Herz und eine Seele. Und ich habe es kaum ausgehalten,als sie sich zerstritten haben. Sie haben beide so furchtbar darunter gelitten.«
»Tja. Wie du weißt, habe ich wenig Mitgefühl für selbst verschuldetes Leid.«
»Und das sagst ausgerechnet du, der selber so große Schwierigkeiten mit seinem Vater hatte.«
Jasper winkte ab. »Ich habe aber nicht erwartet, dass irgendwer mich dafür bedauert.«
»Nein, das ist wahr.« Blanche seufzte leise, nahm ihm das alte Pergament aus der Hand und küsste ihn auf die Stirn. »Spiel noch etwas. Sei so gut.«
Aber Jasper hatte anderes im Sinn. Er schob die Harfe von sich, zog stattdessen Blanche auf seinen Schoß und ließ in unschwer durchschaubarer Absicht die Linke Richtung Rocksaum gleiten. Er strich mit den Lippen über ihren Hals und fragte: »Wo ist unser Nachwuchs?«
»Mit Richmond und Mortimer im Gestüt«, antwortete sie und begann, sein Wams aufzuschnüren, als es vernehmlich an der Tür klopfte.
Seufzend ließ Jasper von ihr ab. »Ja?«
»Vergebt mir, Mylord.«
Jasper stand auf. »Komm rein, Madog.«
Der treue walisische Ritter trat durch die Tür. »Eine Nachricht von Lady Megan Beaufort«, sagte er und streckte Jasper einen Brief entgegen.
Jasper streifte das Siegel mit einem kurzen Blick, erbrach es dann und überflog die wenigen Zeilen. Als er aufschaute, war seine Miene ernst. »Geh hinunter und lass für dich und mich satteln.«
Madog verneigte sich und ging.
»Was ist passiert?«, fragte Blanche.
»Der König hatte einen Anfall. Sein Herz, glaubt sein Leibarzt. Das Schlimmste scheint überstanden, aber er ist sehr verwirrt und schwach, schreibt Megan.«
Blanche erhob sich. »Soll ich nicht lieber mitkommen?«
Aber er schüttelte den Kopf. »Wenn keine Verschlechterungeintritt, bin ich morgen zurück.« Er küsste sie ein wenig hastig. »Dann machen wir genau da weiter, wo wir eben unterbrochen worden sind.«
»Also geh mit
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