Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
leergefegt.
Julian wandte den Kopf. »Master Lydd. Mars- und Focksegel setzen, Drehbrassen backbord klarmachen, Lancaster-Flagge hissen.«
»Aye, Captain.« Der Bootsmann beugte sich über die Reling nach mittschiffs und gab die Befehle weiter. Er brüllte nicht lauter als nötig. Auch wenn die Karacke noch weit entfernt war, wusste er doch, wie Stimmen auf der stillen See tragen konnten.
Schnell und diszipliniert machten die Matrosen der Frühwache sich an die Arbeit. Zwei erklommen die Leiter zum Vordeck,um das Focksegel zu setzen, dessen kurzer Mast von hier aus erreichbar war. Sechs Mann kletterten in die Takelage und setzten über dem Großsegel das kleinere Marssegel. Vier Matrosen luden die beiden drehbaren Kanonen an der Backbordreling und richteten sie aus, und Edmund enterte mit der Flagge unter dem Arm auf, um das stolze Banner mit der roten Rose zu hissen. Julian sah ihm mit sorgsam verborgenem Stolz nach. Der Siebzehnjährige kletterte mit dem Geschick und der Unbekümmertheit einer Katze. Julian machte sich keine Sorgen um die Knochen seines Sohnes. Es sah gefährlicher aus, als es war, wusste er, denn er selbst hatte das ungezählte Male getan. Nachdem Fortuna und die Yorkisten einen Seemann aus ihm gemacht hatten, hatte er das Matrosenhandwerk von der Pike auf gelernt.
Er verließ das Vordeck und ging nach mittschiffs, wo Lucas Durham am Ruder stand. »Sobald wir sie eingeholt haben, schneidest du ihnen den Weg ab, und wenn sie manövrierunfähig sind, drehen wir bei.«
»Aye, Captain«, sagte Lucas in einer gekonnten Imitation des Bootsmanns. »Ich hoffe, sie schießen uns nicht zu Klump, wenn sie merken, dass wir aufholen.«
Julian grinste flüchtig. »Sei unbesorgt. Sie haben keine beweglichen Geschütze wie wir, sondern nur ihre Backbordund Steuerbordkanonen. Edward hat beim Bau seiner Schiffe mehr an die Einnahme französischer Hafenstädte denn an lancastrianische Piraten gedacht.«
»Ich dachte, wir sind keine Piraten«, brummte Lucas. Das Wort bereitete ihm Unbehagen.
Julian klopfte ihm tröstend die Schulter. »Nur ab und zu.«
Sie holten schnell auf. Als die Besatzung der Karacke die Verfolger bemerkte, ließ ihr Kommandant ebenfalls zusätzliche Segel setzen, aber es war zu spät. Es gab nicht viele Schiffe, die es an Schnelligkeit mit der Edmund aufnehmen konnten.
Ehe Julians Schiff gleichzog und in Reichweite der yorkistischen Geschütze kam, wies er seine Kanoniere an den beweglichen Brassen an: »Feuer frei, sobald wir nah genug sind. Werihren Großmast fällt, bekommt ein Pfund in Goldmünzen von mir.«
»Oh, das käm mir gerade recht«, sagte sein Sohn plötzlich neben ihm. Dann bat er den Bootsmann: »Darf ich es versuchen, Master Lydd?«
Der Angesprochene sah fragend zu Julian.
Der zuckte die Schultern. »Die Entscheidung liegt bei Euch. Aber trefft sie bald. Es ist so weit.«
Der Bootsmann nickte dem jungen Mann zu. »Also dann. Woll’n mal sehen, ob du mehr zuwege bringst, als ihnen ein Loch ins Großsegel zu schießen.«
Niemand murrte. Nicht nur Master Lydd, sondern auch die Matrosen wussten, dass Edmund ein gutes Auge hatte. Außerdem mochten sie ihn gern, den Sohn ihres Captains, der den gleichen Namen trug wie ihr Schiff. Sie glaubten, er bringe ihnen Glück, denn seit er vor fünf Jahren als Schiffsjunge an Bord gekommen war, schien ihnen alles zu gelingen, ganz gleich, welch gewagte Schurkenstücke Lord Waringham sich ausdachte, und sie alle waren stolz darauf, dass der yorkistische König dem Mann, der die Edmund versenkte oder ihren Captain gefangen nahm, einen Ritterschlag und eine großzügige, lebenslange Jahrespension versprochen hatte.
Der Kanonier an der hinteren Drehbrasse feuerte, und die Kugel schlug auf dem Achterdeck der Karacke ein.
Edmund richtete seine Brasse aus, sah über das kurze, dicke Rohr hinweg zu seinem Ziel, kniff das linke Auge zu und zielte.
Julian biss sich auf die Zunge, um ihm keine Ratschläge zu geben. Er wusste, der Junge war ein guter, besonnener Schütze. Mit der Rechten nahm Edmund eine letzte, winzige Korrektur an der Ausrichtung vor, dann führte er die kleine Fackel in der Linken an die Lunte. Unter ohrenbetäubendem Getöse wurde die steinerne Kugel aus dem Lauf geschleudert, flog pfeifend durch die Morgenluft und traf den Großmast der Karacke etwa auf halber Höhe. Unter vernehmlichem Splittern krachte das Großsegel auf das Deck des Schiffes, wo augenblicklich ein großes Durcheinander ausbrach.
Die Mannschaft
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