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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Lösegelds für den verstorbenen Richard erhalten hatte. Leopold hielt das für eine Unverschämtheit, nicht nur, weil John bereit gewesen war, dafür zu bezahlen, wenn Richard noch etwas länger in Gefangenschaft blieb, sondern auch, weil die Übernahme der Kreuzzugskosten alle Schuld ihres Vaters getilgt hatte. Ich weiß wohl, dass die Gefangennahme eines Kreuzfahrers eine Sünde war; schließlich ist das meinem armen Vater oft genug vorgehalten worden, schrieb Leopold. Aber ist nicht das, was John tut, schlimmer als der schlimmste Wucher und damit eine größere Sünde? Der Brief schloss mit der Hoffnung, der Papst möge unmissverständliche Worte finden, John zurechtweisen und Leopold bestätigen, dass alle Schulden des Hauses Österreich für die Gefangennahme von König Richard ein für alle Mal getilgt seien.
    Darauf, dachte Walther, wird Leopold lange warten müssen, es sei denn, der Papst hätte irgendeinen Vorteil davon. Doch dabei erwachte etwas anderes in ihm, etwas, das sich zunächst nicht zu einem ausformulierten Gedanken gestalten wollte. Etwas, was mit der alten Geschichte von Richard und der Exkommunikation des Herzogs von Österreich zu tun hatte, aber auch etwas mit dem Hier und Jetzt, dem alten Kreuzzug, dem neuen Kreuzzug … Er kam sich vor wie eine Katze, die der Maus nachjagte und immer nur deren Schwanzspitze erwischte.
    Mitternacht musste schon vorbei sein, als Walther in die Höhe schoss und den Gedanken, mit dem er sich ständig herumwälzte, endlich zu seinem richtigen Ende brachte: Was der alte Herzog von Österreich getan hatte, war eine bannwürdige Sünde gewesen, weil ein Christ nicht das Recht hatte, gegen einen Kreuzfahrer auf dem Weg hin oder von den Heiligen Stätten das Schwert zu erheben. Das war ein ehernes Gesetz der Christenheit, das jedoch mehr als eine Richtung kannte, in die es sich auswirkte. Ein Kreuzfahrer durfte nur zur Befreiung des Heiligen Landes in den Kampf ziehen. Auf gar keinen Fall sollte er das Schwert gegen seine Mitchristen erheben, es sei denn, diese griffen ihn zuerst an. Er war als Pilger absolut nicht frei, sich in irgendwelche Fehden verwickeln zu lassen. Wenn also das Heer, das Byzanz angreifen sollte, ein Kreuzfahrerheer war, dann verstieß es gegen dieses Gesetz. Die Bewohner von Byzanz, einschließlich des jetzigen Kaisers, mochten Schismatiker sein, doch sie waren keine Heiden, sondern Christen, und das war auch der Grund, warum Byzanz – traditionell die erste Anlaufstelle auf dem Weg ins Heilige Land – die Kreuzfahrer immer versorgt und neu ausgestattet hatte.
    Gewiss, es gab die Rechtfertigung, dass der jetzige Kaiser nicht rechtmäßig regierte, aber trotzdem blieb der Versuch eines Kreuzfahrerheeres, Alexios auf den Thron zu setzen, eine rein weltliche Angelegenheit und damit etwas, was dem alten Herzog von Österreich den Bann eingebracht hatte. Nun, Philipp war bereits gebannt, aber die übrigen Kreuzfahrer nicht, wenigstens nicht jene, die nicht seine Anhänger waren. Der Papst mochte noch so sehr wünschen, das Schisma zu beenden, er konnte den Krieg von Kreuzfahrern gegen ein christliches Königreich nicht gutheißen, ohne gleichzeitig die bestehenden Regeln für die Kreuzzüge außer Kraft zu setzen.
    Wenn Walther das verstand, dann musste es Wolfger, dessen Leben seit Jahren darin bestand, zwischen Papst und Königen zu vermitteln, der das Kirchenrecht in- und auswendig kannte, schon längst klar sein. Was hatte dann Wolfger also wirklich in Rom vor? Ging es am Ende doch um ihn?
    Wenn Judith hier wäre, dann würde sie ihm raten, so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Warum eigentlich nicht, dachte Walther: Er hatte Zeugnis bezüglich Bothos abgelegt, über Wochen mit Wolfger die Geschichte der Nibelungen disputiert. Soweit er wusste, gab es nichts, wofür der Bischof ihn noch benötigte. Wenn er jetzt ging – und Wolfger nichts Schlechtes für ihn plante –, konnte er später vorgeben, sich Sorgen um Judith gemacht zu haben. Im schlimmsten Fall würde ihn Wolfger für einen undankbaren Menschen halten und nicht mehr willkommen heißen. Das würde keine weiteren Pelze und vertraulichen Gespräche über große Heldenlieder bedeuten, was beides schmerzhaft war, aber besser als das, was mit Walther geschehen konnte, wenn Judith mit ihren Befürchtungen recht behielt.
    Einen verrückten Augenblick lang zog er in Erwägung, zu Wolfger zu gehen und offen zu gestehen, was ihm durch den Kopf ging, samt der Frage, wie zum Teufel die

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