Das Spiel der Nachtigall
Bauern, die ihr Obst verkaufen wollten, oder Fischer, die Muscheln anboten, keine Menschen, die allem fluchten, was deutsch klang.
»Judith, die Tochter Jakobs«, sagte Meirs Bruder, der sie sofort erkannte, obwohl er sie so häufig nicht gesehen haben konnte, und grinste breit. »Wartet, bis ich meine Schwägerin hole!«
Meirs Frau war eine sanftmütige Schönheit, die geradewegs aus der Thora ins Leben zu schreiten schien und kein Anzeichen von Feindseligkeit zeigte. Das hätte Judith beruhigen sollen, aber sie konnte nicht umhin, sich selbst mit der rehäugigen Leah zu vergleichen, als diese Rabbi Eleasar fürsorglich einen Stuhl zurechtrückte. Judith wusste, dass sie immer weit entfernt von der gehorsamen, guten jüdischen Tochter gewesen war, und musste sich eingestehen, dass ihr Vater jemanden wie Leah verdient hätte. Sie war Meir dafür dankbar, dass er sie aus ihren Grüblereien riss, obwohl er mit bitterer Stimme fragte, warum sie in all den Jahren nichts von sich hatte hören lassen.
»Es ist nicht leicht, mitten im Krieg Boten zu finden, die bereit sind, die Alpen zu überqueren, wenn man kein Fürst ist«, sagte Judith, was eine schlechte Ausrede war.
»Für eine einfache Magistra vielleicht, doch nicht für die Konkubine eines Kaisersohns«, sagte Meir mit deutlicher Verachtung im Blick. Nun, das war der Preis, den man bezahlen musste, wenn man in der Nacht lauthals schrie: »Alexios, du bist ein Gott!« Doch es war leichter zu ertragen, als erklären zu müssen: »Meir, ich wollte dich nicht heiraten, und deswegen war ich himmelfroh, dass mich Diepold von Schweinspeunt zu Irenes Leibärztin machte.« Ganz zu schweigen von: »Meir, du wärst nicht der richtige Mann für mich gewesen, aber der christliche Sänger, der in ein paar Wochen hier auftauchen wird, ist schon seit Jahren mein Geliebter.«
»Herr Alexios«, sagte sie stattdessen gemessen, »ist erst im letzten Jahr seinem Kerker entkommen.« Sie leugnete nicht, seine Geliebte zu sein; das hätte nur zu Diskussionen geführt und es noch schwieriger gemacht, zu sagen, was nun folgen musste. »Reb Meir, es ist leichter, vorwärts- als zurückzublicken, vor allem, da die Christen mich für eine der ihren halten.«
Alle Bewohner des Hauses schauten sie entsetzt an. »Judith«, sagte Rabbi Eleasar und hob beide Hände, die Handrücken nach außen gedreht, »hast du etwa die Taufe empfangen?«
»Nein«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Aber ich habe gelebt, als hätte ich es getan, weil es leichter für mich war, und weil ich sonst kaum die Leibärztin der Königin geblieben wäre.«
Eleasars Frau lief sofort aus dem Raum, er selbst legte die Hände auf seine Augen und drehte Judith den Rücken zu. Leah schaute sie mitleidig an, als Meir mit belegter Stimme erklärte: »Deinem Vater hätte es das Herz gebrochen, Judith.«
Der Teil von ihr, der die letzten Jahre damit verbracht hatte, sich in einer Welt zurechtzufinden, in der ein falsches Wort sie verdammen konnte, und der Teil, der immer schon gut darin gewesen war, ihre Zunge als Waffe einzusetzen, wollte Meir spitz fragen, ob er denn an ihrer Stelle als ungeschätzter Bader durch fremde Lande gereist wäre. Aber er hätte wohl erwidert, dass sie als seine Ehefrau sowohl als Jüdin als auch als Ärztin in Salerno hätte leben können. »Das mag sehr wohl sein«, gab sie also zurück. »Aber mein Vater ist tot.«
»Wenn auch du gestorben wärst, dann hätte ich dein Andenken in meinem Herzen getragen«, sagte Meir. Nichts war besser geeignet, um Judiths Schuldgefühlen ein Ende zu bereiten. Sie fühlte sich, als hätte man ihr kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Was tat sie hier eigentlich? Sie hatte nie darum gebeten, Meirs Frau zu werden. Sie hatte ihn nie ermutigt. Er hatte noch nicht einmal um sie geworben! Er war einfach davon ausgegangen, dass es genügte, wenn sein Vater mit ihrem Vater sprach, und wenn er nicht gewesen wäre, dann hätte sie nicht aus der Stadt fliehen müssen, in der sie glücklich und zufrieden gewesen war. Sie schuldete ihm nicht das Geringste.
»Es gibt bessere Dinge, die du in deinem Herzen tragen kannst als das Andenken an eine Frau, die du nie gekannt hast«, gab sie distanziert zurück. »Sorge dich nicht, ich werde nicht weiter dein Haus mit meiner Gegenwart beflecken. Aber ich muss dich bitten, dich mit deinen Instrumenten auf der Feste einzufinden, bei Alexios von Byzanz, und Schweigen zu bewahren über alles, was du dort tun und sehen
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