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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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den meisten Familien gegeben wurde. Als aber der kleine Rainald seine letzten Atemzüge in ihren Armen ausgehaucht hatte, wusste sie, dass sie so etwas nicht noch einmal ertragen konnte, und schickte einen Boten nach Salerno, mit dem Auftrag, der Magistra Jutta alles anzubieten, was sie wollte, wenn sie nur umgehend an den Hof zurückkehrte. Es mochte ein unsinniger, vergeblicher Handel mit dem Schicksal sein. Ihre Magistra war eine gute Ärztin, doch sie war keine Wunderheilerin, und vielleicht wären die beiden Jungen geradeso gestorben, wenn Jutta hiergeblieben wäre. Doch Fakt blieb, dass bisher alles gut für Irene und ihre Kinder verlaufen war, wenn die Magistra sich an ihrer Seite befunden hatte. Wenn das nächste ihrer Kinder krank würde, dann wollte sie sicher sein, dass sie alles, aber auch alles getan hatte, um zu verhindern, dass es seinen toten Brüdern folgte, und sich nicht den Rest ihres Lebens fragen, ob Jutta einen Unterschied hätte machen können.
    Nun war Jutta schon bald ein Jahr wieder bei ihr. Den Kindern ging es gut; Irene wachte trotzdem manchmal nachts auf und hatte das Bedürfnis, von ihrer Kemenate in die Kinderstube zu eilen, um sich zu vergewissern, dass sie alle gesund waren und ruhig schliefen. An anderen Tagen wachte sie auf und hatte für einen Moment vergessen, dass Rainald und Friedel tot waren, bis das Leben sie wieder einholte. Sie wusste nicht, was schlimmer war. Ihr Beichtvater tröstete sie damit, dass die Seelen von Säuglingen, die nie eine Schuld auf sich geladen hatten, geradewegs von Gott in die Arme genommen wurden. Irene versuchte, sich daran zu klammern, zumal sie nur zu gut wusste, dass es um die Seele ihres Vaters anders bestellt war, und auch um die des armen Alexios, dem sie zwar auf den Thron verholfen hatte, damit aber auch sein Todesurteil unterschrieb. Aber dann dachte sie wieder daran, dass sie nie mehr die kleinen Hände ihrer Jungen in den ihren spüren, nie den süßen Geruch ihres Haares und sauberen Kinderschweiß riechen würde, und dass bald niemand außer Philipp und ihr mehr wissen würde, dass es sie je gegeben hatte, denn tote Säuglinge gab es wie Sand am Meer, in allen Familien, ob hoch oder niedrig.
    Ihre älteste Tochter, Beatrix, feierte bald ihren neunten Geburtstag. Sie war damit bereits seit zwei Jahren alt genug, um bei einer edlen Familie in Pflege gegeben zu werden, wie es sich für die Tochter aus königlichem Geblüt geziemte. Ohne Rainalds Tod wäre es wahrscheinlich auch so gekommen, aber nachdem sie ihren Jungen zu Grabe getragen hatten, gestattete Philipp es ihr, das Mädchen bei sich zu behalten. Als auch der kleine Friedel kein Jahr alt wurde, verstummte das Gerede, wessen Haushalt wohl als ehester für Beatrix in Frage kam, gänzlich.
    Anders stand es um Ehepläne. »Wir haben bereits mehrere Anträge«, sagte sie zu der Magistra, die mit ihr zusammen in Speyer durch den Garten der Feste ging, während die Kinder Schmetterlingen nachjagten. »Ich war dreizehn, als ich mit Roger von Sizilien verheiratet wurde, und unsere Ehe war schon Jahre vorher in die Wege geleitet worden. Es wird Zeit, das weiß ich. Aber ich hoffe, dass Beatrix bei mir bleiben kann, bis sie alt genug ist, um die Ehe zu vollziehen.« Die meisten Männer zeigten sich in diesem Punkt einsichtig, schon, weil ein Mädchen für sie noch nicht von Nutzen war, ehe es seine monatlichen Blutungen hatte. Es gab allerdings auch Ausnahmen. Die Nachricht davon, dass dem König von Ungarn eine Tochter geboren wurde, hatte erst im vorigen Monat alle Höfe im Reich erreicht, und in diesem Monat hieß es bereits, dass der Landgraf Hermann von Thüringen für seinen kleinen Sohn und Erben, der ihm in zweiter Ehe geboren worden war, um ihre Hand angehalten hatte.
    »Ich nehme an, das kann ich als Zeichen werten, dass Hermann schon wieder einen Seitenwechsel plant«, hatte Philipp zu Irene gesagt, »denn sonst hätte er wohl weiter um eine meiner Töchter gebeten, statt nach dem ersten Nein aufzugeben. Otto hat ja keine zu bieten.«
    »Der König von Ungarn steht doch nicht auf Ottos Seite«, hatte sie erwidert.
    »Nein, aber wenn seine neugeborene Tochter das Beste ist, was sich Hermann für seinen Sohn erhoffen kann, dann heißt das, dass er entweder daran zweifelt, dass ich ihm jemals eines unserer Mädchen gebe, oder sich nicht durch eine Ehe fest an mich binden will.«
    Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war Irene erleichtert, denn wenn Hermann von Thüringen weiterhin

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