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Das Spiel der Nachtigall

Das Spiel der Nachtigall

Titel: Das Spiel der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Mädchen«, antwortete ihre Mutter beeindruckt und gab die Erlaubnis. Lucia brachte Kunigunde und Beatrix zurück in den Dom, wo sich das Grab befand. Sie verrichteten ihre Gebete für die Kaiserin Kunigunde; danach war es leicht, Lucia abzulenken und mit der Schwester aus dem Dom zu rennen, um die buntgeschmückte Stadt zu erkunden, in der niemand verhungert aussah. Beatrix wusste, dass es leichtsinnig war, sie wusste, dass sie eigentlich zu alt für so etwas sein sollte, aber sie wusste auch, dass sie nicht mehr oft Gelegenheit dazu haben würde, also war sie bei weitem nicht reuig genug, darauf zu verzichten.
    Überall wurde zu Ehren des jungen Paares Honigkuchen verkauft, außerdem gebratene Würste, und obwohl Beatrix wusste, dass es heute Abend ein Festmahl geben würde, wünschte sie, sie könnte etwas davon versuchen. Kunigunde hatte ebenfalls einen hungrigen Blick. Vor der Messe hatten sie nichts gegessen, und bis zum abendlichen Festmahl würden sie auch nichts mehr bekommen. Genug ist genug, entschied Beatrix und kehrte die Königstochter heraus. »Ich bin die Base der Braut und die Tochter des Königs«, sagte sie zu einem Wirt, der vor seiner Schenke gebratene Würste und Bier verkaufte. »Gebt mir von den Würsten, mir und meiner Schwester.«
    Er lachte sie aus und empfahl ihr, das gestohlene Kleid so schnell wie möglich zurückzugeben. Kunigunde, die sich schon auf die Würste gefreut hatte, stiegen die Tränen in die Augen. Beatrix kam sich dumm vor.
    »Bei allen Heiligen, Euer Gnaden, was tut Ihr hier?«, hörte sie eine vertraute Stimme, drehte sich um und sah zu ihrem Entzücken Herrn Walther. Er bezahlte rasch die Würste und sagte zu ihr, er müsse mit ihrem Vater sprechen, es sei sehr, sehr wichtig; er habe es schon vorher versucht, sei jedoch vom Haushofmeister und den Wachen abgewiesen worden.
    »Das tut mir leid, Herr Walther. Ich werde Euch beschützen«, versprach Beatrix, und nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Ich glaube auch, dass die Magistra nicht mehr ganz so wütend wie früher auf Euch ist.«
    Sein Gesicht verhärtete sich. »Der Magistra wegen bin ich nicht hier, Euer Gnaden.«
    »Sie ist es auch nicht. Hier, meine ich. Sie ist auf der Burg geblieben«, versicherte ihm Beatrix, um klarzumachen, dass es nicht die Schuld der Magistra war, wenn der Haushofmeister Herrn Walther abgewiesen hatte.
    Während sie den Domberg hochliefen, schaute Beatrix zu Walther auf. »Erzählt meiner Mutter nichts von unseren Bratwürsten«, bat sie. Kunigunde, die sich das Fett vom Kinn wischte, nickte eifrig.
    »Welche Bratwürste?«, fragte Herr Walther mit einem Augenzwinkern, und sie wusste, dass sie sich nicht in ihm getäuscht hatte und dass die bitteren Worte der Magistra bei dem einen Mal, als sie von ihm gesprochen hatten, nicht stimmen konnten. Er musste ihr Minnesänger werden!
    Mit einem Mal hielt er inne; einen Augenblick danach hörte sie es auch: Geschrei, ganz wie heute Morgen für die Brautleute, aber anders, sehr, sehr anders. Außerdem sah sie eine Gruppe von Rittern zu Pferde auf sich lospreschen, als sei sie eine der mit Sand gefüllten Puppen bei einem Turnier. Zehn oder zwölf waren es bestimmt, darunter zwei der Andechs-Meranier, die heute Morgen mit ihr und der Königin von Ungarn in der Kirche gestanden hatten, und ein Mann, in dem sie Otto von Wittelsbach erkannte. Herr Walther packte sie und ihre Schwester an den Schultern und drückte sie zur Seite.
    Sein Gesicht war kalkweiß.
    * * *
    Als Lucia allein zurückkehrte, war Irene außer sich vor Sorge und versuchte vergeblich, sich zu sagen, dass Beatrix alt genug war, um auf sich und ihre kleine Schwester achtzugeben, alt genug, um zu wissen, warum sie nicht einfach durch die Stadt streifen durfte. Sie schickte zwei Wachen los, um nach ihren Töchtern zu suchen, und machte sich dann auf den Weg zu Philipp, der inzwischen wieder eingetroffen war und mit dem Haushofmeister, seinem Kanzler, dem Bischof von Speyer und dem Truchsess zusammensaß. Sie war nur noch zehn Schritte von dem Gemach entfernt, als sie jemanden schreien hörte: »Das ist kein Spiel!«
    Dann hörte sie Philipp. Ein Ruf nur, ein Laut, kein Wort.
    Irene kannte den Ton. Sie hatte ihn nicht mehr gehört, seit sie ein junges Mädchen gewesen war und Philipps Bruder den letzten König Siziliens vor ihren Augen blenden und kastrieren ließ; nicht mehr seit jenem zweiten Weihnachtstag, als der normannische Adel nach Palermo gekommen war, ohne Waffen die Kirche

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