Das Spiel der Nachtigall
würde Salomon den Söhnen des Herzogs erklären, was geschehen war, ganz gleich, ob ihr Vater dabei im Kerker oder in seinem Lehnstuhl daheimsaß; sie waren seine Herren. Und welchen Grund sollte Walther haben, ihr zu helfen? Resignierend löste sie ihre Finger von seinem Arm.
»Wünscht mir einen guten Flug«, flüsterte er und drückte ihr seine Laute in die Hand, dann bahnte er sich durch die Trauernden, die mehr und mehr zu angriffslustigen Streitenden wurden, den Weg zum Älteren der Herzogssöhne.
* * *
Sich zu räuspern genügte nicht; Walther musste sich grob an Bischof Wolfger vorbeiquetschen, um sicherzustellen, dass ihn Friedrich bemerkte.
»Herr«, begann er, »ich beklage Euren Verlust, doch Seine Gnaden der Herzog ist nun von seinen Leiden erlöst.«
Friedrich runzelte die Stirn ob der Aufdringlichkeit. »Ihr hättet Euer Beileid auch später aussprechen können, Herr Walther.«
»Nein«, entgegnete er und meinte, das Blut in seinen Ohren rauschen zu hören; jetzt kam es darauf an. »Ihr wisst ja, wie die Muse der Dichtkunst ist; sie beflügelt uns und lässt uns keine Ruhe, bis wir verkünden, was sie uns aufgetragen hat.«
»Später«, sagte Friedrich ungehalten. »Jetzt kann ich Eure Verse kaum willkommen heißen.«
Aus den Augenwinkeln sah Walther, dass Leopold auf den jüdischen Arzt einredete. Für Schmeicheleien und subtile Versuche, Friedrich zur Seite zu ziehen, blieb keine Zeit.
»Das solltet Ihr aber, Euer Gnaden. Ihr solltet mich willkommen heißen, denn der, der Euch Neues, Wichtiges zur Kenntnis bringt, der bin ich.« Dieses Eindringen in die Trauer, diese Unverschämtheit der Familie gegenüber ließ nun auch den Bischof empört starren. In Friedrichs Augen flackerte etwas. Er hob eine Hand – doch er schlug nicht zu, und er winkte auch keinem Diener, um Walther aus dem Raum zu werfen.
»Dann lasst uns vor die Tür gehen. Das Totenbett meines Vaters ist kein Ort für eitles Geschwätz.«
Walther spürte, wie sich der Blick des Bischofs in seinen Rücken bohrte. Doch selbst wenn Wolfger neugierig war oder gar von seinem Sohn erfahren hatte, wer ihn in den letzten Tagen zum redseligen Zechen verleitet hatte, konnte der Würdenträger jetzt nichts unternehmen.
Im Vorzimmer, das völlig leer war, weil alle Knappen und Höflinge in das Schlafgemach geeilt waren, packte Friedrich Walther bei den Schultern und stieß ihn gegen die Wand. »Ich hoffe, Ihr habt einen besseren Grund, mich in diesem Moment zu belästigen, als Eure Stellung hier bei Hofe!«
»Den habe ich.« Walthers Stimme klang belegt. Von einem Mann an eine Mauer gepresst zu werden, der seit früher Kindheit Kettenhemden und geschmiedetes Eisen trug und gelernt hatte, das Schwert zu führen, während Walther nichts Schwereres als Lauten und Fiedeln stemmte, war mehr als einschüchternd. »Ich will Euch eine Sage erzählen, Herr Friedrich, eine Geschichte aus alter Zeit …«
»Bube!«
»… die immer wieder neu ist. Glaubt mir, Ihr wollt sie hören. Dann mag sie zurück in den Schoß der Zeiten versinken.«
Friedrich ließ ihn los. »Nun denn«, knurrte er.
»Vor langer Zeit, da lebte im Reich eines Kaisers, der sein Auge auf den gesamten Erdkreis geworfen hatte, ein tapferer Herzog namens … Joringel. Er war ein treuer Weggefährte des Kaisers, und er hatte eine schöne Gemahlin namens Jorinde. Weil der Kaiser berühmt dafür war, sich selbst dem Papst zu widersetzen, wenn er etwas haben wollte, und es für ihn nichts gab, was sich nicht erobern ließ, da muss es wohl eine Stunde gegeben haben, in der die Dame Jorinde seinen Huldigungen nachgab. Was hätte sie auch tun sollen, war doch der Kaiser der oberste Lehnsherr ihres Gemahls und damit auch ihrer? Der Herzog entdeckte nichts, und auch die Dame bewahrte das Geheimnis.« Walther holte kurz Atem. »Der Kaiser hatte acht Söhne, doch starben mehr und mehr. Niemand wusste, warum Gott ihn so strafte. Vielleicht lag es daran, dass er noch einen weiteren Sohn hatte, einen, den er nicht anerkennen konnte, ohne sich als falscher Freund seines Waffengefährten zu erweisen. Das ging so lange, bis der Kaiser schließlich starb und sein ältester Sohn ihm auf den Thron folgte.«
Friedrichs Gesicht war versteinert. »Weiter.«
»Es kam jedoch eine Zeit des Unglücks für den Herzog Joringel, und als seien der Schicksalsschläge nicht genug, erfuhr er auch jenes alte Geheimnis. Was sollte er tun? Niemals hatte sein ältester Sohn ihm Grund zur Klage gegeben; ihn offen
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