Das Spiel der Nachtigall
Mutter hat mir in ihrem Letzten Willen Sizilien als ihr Erbe hinterlassen, als normannisches Königtum, nicht als Teil des Heiligen Römischen Reiches. Mich dünkt, Seine Heiligkeit in Rom sieht das genauso. Wie kann ich dem Kaiser da den Lehnseid für ein Königreich leisten, das nicht ihm gehört, sondern mir?«
Gugliemo schaute unglücklich drein und verstummte. Der junge Taddeo, der Friedrich vorhin im Wald begleitet hatte, sagte harsch: »Du magst keine andere Wahl haben, wenn noch mehr von den aragonesischen Rittern sterben. Dann hast du nämlich kein Heer mehr, und Schweinspeunt wird dir gewiss keine Ritter und Kriegsknechte zur Verfügung stellen, wenn er dem Kaiser jetzt schon schöntut.«
»Was meint Ihr, Herr Nachtigall?«, fragte Friedrich unvermittelt. »Habe ich eine Wahl?« Im Schein der großen Feuerstelle waren seine Haare eindeutig rot. Er hatte graublaue Augen mit sehr klar gezeichneten schwarzen Rändern; jetzt, wo die Pupillen geweitet waren, wirkten sie durchdringend. Neben ihm stand eine Schale mit Oliven, in die er hin und wieder griff; die Art, wie er sie sich in den Mund stopfte, war das Einzige, was daran erinnerte, wie jung er noch war.
»Wenn Ihr der Kaiser wäret«, fragte Walther prüfend zurück, »was tätet Ihr dann an seiner Stelle?«
»Mit mir? Oder mit dem Papst?«
Nein, er war eindeutig nicht auf den Kopf gefallen; ein Fechter mit Worten, bei dem sich ein Waffengang lohnte.
»Ist es denn nicht dasselbe?«, erkundigte sich Walther, und die Antwort wurde ihm wichtiger, als er für möglich gehalten hätte.
»Wer maßt sich schon an, eins mit dem Heiligen Vater zu sein? Gewiss nicht ich. Ich habe ein paar seiner Schriften gelesen, und er hat mir denn doch eine gar zu trübselige Einstellung zum menschlichen Körper, um sie teilen zu können. Was nun Herrn Otto betrifft, so hat ihm die Gunst des Heiligen Vaters in den letzten zehn Jahren nicht so viel gebracht wie das plötzliche Ableben meines Onkels Philipp, also kann ich ihm nicht verdenken, wenn er mehr auf die Gewalt von Schwertern als die Macht der Kirche vertraut, wenn es darum geht, das zu bekommen, was er haben will. Und wenn er jetzt schon Großkapitäne für meine Provinzen ernennt, will er offenkundig auch mein Königreich.«
»Der Heilige Vater wird ihn bannen!«, rief Constanza empört. »Er war dein Vormund und muss dein Erbe schützen.«
»Sehr geschützt ist es mir zeit meines Lebens nicht vorgekommen«, sagte Friedrich trocken, dann wandte er sich wieder an Walther. »Ihr habt meine Frage nicht beantwortet, Herr Nachtigall.«
»Ich nehme mein Vorbild bei einem König, Euer Gnaden – Ihr habt die meine nicht wirklich beantwortet.«
» Quid pro quo, meint Ihr? Nun gut. Auf welche Frage wollt Ihr denn eine Antwort haben?«
»Wenn Ihr Kaiser wäret«, sagte Walther und ließ den scherzhaften Ton völlig fahren, »was tätet Ihr dann mit Eurer Herrschaft?«
Auch aus Friedrichs Stimme war die Heiterkeit gänzlich geschwunden, als er sich vorlehnte und entgegnete: »Fiat justitia, ruat caelum.«
Lasst Gerechtigkeit walten, auch wenn der Himmel einstürzt. Worte sind leicht gesprochen, Taten etwas ganz anderes, sagte sich Walther, doch ohne Macht konnte man von dem Jungen auch nicht den Beweis verlangen, und Walther war nur zu vertraut mit der Gewalt von Worten. »Was ist dann Gerechtigkeit?«
»Jetzt enttäuscht Ihr mich, mein Freund. Was bedeutet es, wenn der Himmel einstürzt?, das ist die bessere Frage. Ihr habt mir doch erzählt, dass Ihr an Dinge glaubt, die Ihr nicht nachweisen könnt. Was geschieht also, wenn der Himmel einstürzt? Werden die Sphären unter dem Gewicht der Engel zusammenbrechen und wie Scherben auf die Erde stürzen? Oder wird es wie der Ausbruch eines Vulkans sein, und es wird Feuer auf uns regnen? Manchmal denke ich, es würde sich lohnen, ungerecht zu sein, nur, um das herauszufinden.«
Gugliemo starrte auf den König, gleichzeitig gebannt und zutiefst verstört, und Walther erinnerte sich daran, wie er ihm von dem Gerücht erzählt hatte, der junge Friedrich sei der Antichrist. Ein wenig konnte er es nachvollziehen; er fühlte sich selbst beunruhigt, aber auf eine Weise, die nach mehr verlangte. Auf jeden Fall war unter all den Fürsten, die Walther kennengelernt hatte, seit er in einer Schenke bei Wien den König von England und den Herzog von Österreich übereinander hatte herfallen sehen, Friedrich von Sizilien etwas völlig Neues.
»Und was geschieht mit all den Menschen,
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