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Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Spiel des Alchimisten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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vielleicht lag es einfach daran, dass Jana nicht mehr nur die Gefährtin meiner Tage war, sondern ich auch meine Ängste und Träume mit ihr teilte. Vielleicht hatte ich es endlich geschafft, Maria loszulassen, und ihre Seele war dankbar dorthin gereist, wo wir uns alle einmal wiedertreffen werden.
    Dennoch tat ich, was ich selten tue: Ich beschloss, nicht auf die Stimme in meinen Gedanken zu hören.
    Ich verließ das Jakoberviertel in Eile, als ich eine Frau mit lose geschnürtem Mieder und gelben und roten Bändern im Haar auf mich zukommen sah. Janas Stimme hätte mich fragen können, warum ich so ängstlich vermied, der Dirne ins Gesicht zu sehen, ob es aus Angst war, unter der Schminke auf den Wangen mein Kind zu erkennen. Doch Jana war verstummt, und auch dieses Schweigen war voller Mitleid.
     
    Der Bischof verfügte über das Recht, sich frei in der Stadt zu bewegen, unabhängig von Torschluss und Nachtglocke. Bischof Peter hatte dieses Recht weidlich genutzt. Wie es sein Nachfolger hielt, wusste ich nicht, doch die Männer, die das Gögginger Tor hüteten, traten sofort beiseite und ließen uns passieren, ohne uns darauf hinzuweisen, dass sie das Stadttor bald schließen würden. Mir schenkten sie keinerlei Aufmerksamkeit. Ich war eine unbedeutende Figur, die neben der Kutsche herritt, wieder in meine schlichten Reisegewänder gekleidet, auf einem unauffälligen Pferd sitzend. Ich hätte mir Gregors Rappen auch dann nicht ausgeliehen, wenn er es mir nicht ausdrücklich untersagt hätte.
    Zwischen den Stadtmauern und der Wertach lagen die Behausungen der Pfahlbürger verstreut, wie vor jedem Stadttor, dessen unmittelbare Topographie das Errichten von einfachen Hütten erlaubte. Die Menschen, die sich dort angesiedelt hatten, bewarben sich um eine Aufnahme in die Bürgerschaft. Einige von ihnen hofften bereits seit langem auf die Bewilligung ihres Antrags, während sie vielfältige Dienstleistungen in der Stadt erbrachten, manche würden ihr Leben lang darauf warten. Das menschliche Treibgut bricht sich immer an den Mauern, die aus dem gesetzlosen freien Land aufragen.
    Das alte heidnische Gräberfeld war stets ein Ort gewesen, der Angst und Aberglauben verursacht hatte. Anders als gewisse, von uns Kindern erwählte Landmarken, wie knorrige alte Bäume oder tiefe Holunderdickichte, hatte das Gräberfeld jedoch nie dazu verleitet, es einer Mutprobe wegen zu erobern. Die Furcht, die es erweckte, löste keinen Kitzel aus. Weniger leicht zu beeindruckende Geister hatten die Grabhäuser und Grüften als Steinbrüche missbraucht, so wie sie es mit den heidnischen Tempeln getan hatten, die die Truppen und Beamten des Cäsar und seiner Nachfolger hinterließen. In manchem Haus Augsburgs befanden sich schön behauene Steine aus den alten römischen Gebäuden im Fundament, von denen der eine oder andere vielleicht aus einer Mauer stammte, die sich über dem ewigen Schlaf eines toten römischen Statthalters erhob.
    Der Ruf des Gräberfeldes hatte sich nicht geändert in den Jahren, in denen ich nicht dort gewesen war. Die Bauten der Hoffenden und Hoffnungslosen vor der Stadtmauer wahrten einen gewissen Abstand wie eine Schafherde, die einen Kreis um den Leichnam eines der ihren bildet. Weiter hinten war die flache Schlinge der Wertach zu sehen, die ohne Eile ihrer Vereinigung mit dem Lech entgegenströmte.
    Albert hielt die Kutsche an, als wir die letzte Hütte passiert hatten.
    »Da rein?«, fragte er misstrauisch. Angetan mit den Zeichen seiner früheren Würde – einem schäbigen, weiten Mantel in den Wappenfarben Bischof Peters und einer Lederhaube mit einer Feder, von der im Wesentlichen nur noch der Kiel übrig war – saß er auf dem Kutschbock. Er hatte die Sachen in einem alten Sack unter der Matratze in der Gesindekammer aufbewahrt. Dementsprechend sahen sie aus und rochen so wie Albert vor seinem Abenteuer im Waschzuber. Unter der Lederhaube hing das Haar des Kutschers hervor und umwehte seine Schultern in dünnen Altmännersträhnen. Ich hatte sicherlich nicht alle Nissennester erwischt, als ich ihm die Haare gewaschen hatte, doch wirkte seine gesamte Erscheinung nun einigermaßen sauber. Er hatte mir sogar so weit vertraut, dass ich ihm die Fransen an Kinn und Wangen hatte abrasieren und die Fingernägel hatte stutzen dürfen. Irgendwo zwischen all diesen Tätigkeiten, mit dem alten Mann in einem Waschzuber sitzend, hatte ich es plötzlich als lächerlich empfunden, die alte Förmlichkeit ihm gegenüber

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