Das Spiel des Saengers Historischer Roman
bei hellem Kerzenschein ist alles nicht mehr so fürchterlich. Und ich glaube, das Gewitter zieht schon allmählich weiter.«
»Habt Ihr wirklich ein Gewitter im Wald erlebt, Jungfer Engelin?«
»Ja, Ännchen, sogar mehr als eins. Es ist zwar schaurig, aber auf seine Weise auch beeindruckend. Manchmal, wenn es ganz nahe ist, dann erzittert die Erde bei den Donnerschlägen, und es riecht nach Schwefel oder so. Wenn ein Blitz in einen Baum fährt, dann knallt es ganz entsetzlich. Ich habe gesehen, wie eine riesige Eiche von oben bis unten geborsten ist und Hagelkörner, groß wie Hühnereier, das Laub von den Ästen gefetzt haben. Aber jedes Gewitter ist irgendwann zu Ende.« Sie lächelte die beiden jungen Maiden an. »Jedes, glaubt mir.«
»Hat meine Mutter ein Gewitter über Euch entladen, Hildegunda?«, fragte nun auch Casta, die die Novizin eindringlich betrachtet hatte und offensichtlich zu einem ähnlichen Schluss wie Engelin gekommen war.
»Nein. Nein.«
»Was verstört Euch denn so? Es ist doch nicht alleine das Getöse da draußen. Ihr wart schon den ganzen Abend so still und habt kaum etwas gegessen.«
Hildegunda schien sich am liebsten unter den Decken verkriechen zu wollen.
Engelin wagte einen Vorstoß.
»Wir haben uns alle gewundert, dass die Äbtissin heute nicht an der Hohen Tafel saß. Hat sie ein Unwohlsein befallen?«
Das arme Mädchen zitterte wie Espenlaub, und darum kroch sie zu ihr hin und nahm sie in den Arm. Schmächtig war die Novizin, mager geradezu. Engelin dachte nach - nein, sie war noch nicht im Kloster gewesen, als sie selbst dort weilte.
»Wann seid Ihr nach Rolandswerth gekommen, Hildegunda? Ich kann mich an Euch nicht erinnern.«
»Vergangenen Sommer, Jungfer Engelin. Nach der Krönung.«
»Seid Ihr gerne dort?«
Wieder zitterte das Mädchen heftig. Aber dann holte sie tief Luft und schniefte.
»Die Eltern …«
»Haben bestimmt, dass Ihr in den Orden eintreten sollt.«
»Meine Mutter ist sehr fromm.«
»Wisst Ihr, so schlecht ist das Leben im Kloster nicht. Es ist geruhsam, das Essen ist gut, wenn man krank ist, wird man gepflegt, die Arbeiten sind leicht, und wenn man will, kann man auch lesen und schreiben lernen.«
»Ja, das ist alles richtig.«
Casta hatte zugehört und sagte jetzt: »Aber meine Mutter führt die Schwestern sehr streng, nicht wahr?«
»Ja, aber das ist auch nicht schlimm. Es ist nur …«
»Dass manche die Regeln übertreten, nicht wahr? Das hattet Ihr nicht erwartet.«
Engelin wand sich innerlich. Casta war ihre Freundin - konnte sie ihr wirklich sagen, was sie von der Äbtissin
wusste? Oder wusste es Casta ebenfalls und schämte sich dafür?
Es war Ännchen, die keine Skrupel kannte.
»Hildegunda, Ihr seid ein unschuldiges Lamm. Das macht Euch das Leben verdammt schwer. Vermutlich, edle Jungfern, hat sie die Buhlerei der Ehrwürdigen verschreckt.«
»Was?«
Casta fuhr auf.
Und Hildegunda begann zu schluchzen.
»Na, die Äbtissin treibt’s mit dem Stiftsherrn. Deswegen schickt sie ihr Novizchen immer in den Garten, Psalmen lernen. Und jetzt hat sie es wohl doch entdeckt.«
Casta starrte Ännchen an.
Engelin drückte Hildegunda an sich.
Das Gewitter war vergessen.
»Engelin?«
»Ja, Casta, ich wusste es.«
Ihre Freundin stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus.
Diesmal sahen die drei anderen jungen Frauen sie entgeistert an.
»Entschuldigung. Hildegunda, was hast du beobachtet?«
»Die … die ehrwürdige Mutter. Nur sie hat gestritten. Mit dem Stiftsherrn. Und der wollte nicht, was sie wollte. Und da hat sie ihn …« Ein Schluckauf packte die Ärmste. »Sie hat ihn verprügelt.«
»Alle Heiligen und Unheiligen.« Engelin wurde plötzlich von einer unbändigen Heiterkeit erfasst, als sie sich vorstellte, diese Neuigkeit Hardo zu erzählen. »Daher die dicke Lippe!«, stieß sie hervor.
»Worüber stritten sie?«, wollte Casta kühl wissen.
»Über Euch, edles Fräulein. Wegen dem Lehen und dem Geld.«
»O Gott, das schon wieder. Ich bin es so leid!«
»Aber der Stiftsherr vertritt doch den Erzbischof und spricht für meinen Vater«, meinte Engelin verwundert.
»Ich weiß nicht, worum es ging«, schluckte Hildegunda.
»Ist ja gut, Liebes, ist ja gut. Wir sind hier seit Tagen eingesperrt, und da gibt es immer mehr Spannungen. Hört zu, Hildegunda - Ihr müsst nicht in das Kloster zurück, wenn Ihr nicht wollt.«
»Ich muss aber. Die Mitgift …«
»Die kann Euch auch einen Platz in einem anderen Kloster oder Stift
Weitere Kostenlose Bücher