Das Spiel - Laymon, R: Spiel
Rechten. Ein älterer Mann mit Aktenkoffer verließ das Nachbarzimmer.
Schnell zog Jane den Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Tür und rannte in ihr Zimmer. Rhonda folgte ihr und schloss die Tür.
Oh Mann.
Sie wird mir schon nichts tun, sagte sie sich.
»Wo ist er?«, fragte Rhonda.
»Roy?«, rief Jane. »Roy, bist du da?«
Wie erwartet erhielt sie keine Antwort.
Jane schüttelte den Kopf und versuchte, möglichst ratlos dreinzuschauen.
»Wo ist er hin?«, fragte Rhonda.
»Keine Ahnung.«
»Ich schlag ihm die Fresse ein. Warten Sie’s ab. Ich habe überall Narben. Überall. Weiß Gott, die Typen haben’s schon mit allem versucht, Messer, zerbrochene Flaschen – was Sie sich nur vorstellen können. Aber ich habe allen in den Arsch getreten. Dieser Roy soll sich nur mal blicken lassen, dann kriegt er’s mit mir zu tun. Dem werd ich eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hat.«
»Also …«
Rhonda ging quer durch den Raum zum Bad.
»Er ist bestimmt weggefahren«, sagte Jane.
Rhonda ignorierte sie. »Roy, bist du da drin? Ich rede mit dir, Sportsfreund! Bist du taub?«
Taub?
Jane warf schnell einen Blick in den Eiskübel auf dem Tisch. Braces Ohr schwamm zwischen Eiswürfeln im klaren Wasser.
»Versteckst du dich auf dem Klo, Roy? Komm da raus!« Rhonda verschwand im Badezimmer.
In Windeseile steckte Jane die Hand in das eiskalte Wasser, fischte das Ohr heraus und ließ es in die Tasche ihres Morgenmantels gleiten.
Einen Augenblick später kam Rhonda aus dem Bad zurück. Sie ging zu Jane und schüttelte den Kopf.
»Schade«, sagte Jane. »Ich hätte zu gerne gesehen, wie Sie ihm in den Arsch treten.«
»Kein Problem. Wir warten einfach ab. Früher oder später wird er schon auftauchen.«
»Ich muss aber jetzt wirklich los«, sagte Jane.
»Ist schon in Ordnung. Ich bleibe hier.«
Jane öffnete die Tür. »Vielleicht sollten Sie besser gehen, Rhonda. Nicht, dass noch jemandem was passiert.«
»Ja, und ich weiß auch schon, wem. Roy nämlich.«
»Wie wäre es mit hundert Dollar?«, fragte Jane.
Rhonda kniff die Augen zusammen. »Was muss ich dafür tun?«
»Nichts. Fahren Sie einfach weiter und vergessen Sie Roy. Ich will nicht, dass Sie verletzt werden.«
Ronda wedelte mit der Hand. »Ach, das ist eigentlich der Teil, der mir am Besten gefällt.«
»Verletzt zu werden?«
»Klar. Geht Ihnen das nicht so?«
»Nein. Eigentlich nicht.«
Rhonda lachte verächtlich. »Na klar.«
Jane suchte in ihrer Handtasche nach einem Geldschein.
Sie reichte ihn Rhonda. »Hier, für Sie.«
»Das ist ein Hunderter !«
»Ja.«
»Heilige Scheiße!« Sie zog Jane den Geldschein aus den Fingern und hielt ihn sich vors Gesicht. »Ist der echt?«
»Ja, ist er. Ganz bestimmt.«
»Ich hab noch nie einen Hunderter gesehen!«
»Also … Vielen Dank noch mal.«
»Soll ich Ihnen beim Packen helfen?«
Jane seufzte. »Nein. Hauen Sie einfach ab, okay? Ich muss noch viel erledigen, aber dazu brauche ich meine Ruhe. Bitte.«
Rhonda faltete den Geldschein in der Mitte und steckte ihn in die Hosentasche. »Ich sag Ihnen mal was«, sagte sie und rieb sich die Nase. »Sie sind wirklich schwer in Ordnung. Wenn Sie mich mal brauchen, sagen Sie einfach Bescheid. Mein Daddy steht im Telefonbuch. Er heißt Dodge. Ed Dodge. Sie brauchen nur anrufen, dann komm ich sofort. «
»Das ist sehr nett, Ron. Sie sind auch schwer in Ordnung. «
Rhonda streckte die Hand aus. Jane schüttelte sie.
»Adios amigo«, sagte Rhonda. »Via con Dios.«
»Sie auch. Und noch mal danke fürs Mitnehmen.«
42
Jane checkte noch vor zehn Uhr aus und fuhr nach Donnerville zurück.
Sie trug eine frisch gewaschene weiße Bluse und den mit der üblichen Bewaffnung versehenen Hosenrock. Auf dem Boden des Beifahrersitzes stand der Plastikeimer mit Braces Ohr, den sie mit frischem Eis gefüllt hatte. Sie hatte zehn Dollar im Zimmer zurückgelassen, um für den Eimer aufzukommen, obwohl er bestimmt nicht mehr als achtundneunzig Cent gekostet hatte.
Niemand sollte sie für eine Diebin halten.
Es war seltsam, ganz allein im Auto zu sitzen.
Der Anfangssatz von »Eine Geschichte zweier Städte« von Charles Dickens fiel ihr ein: »Es war die beste und die schlimmste Zeit …«
Seltsam, dass sie sich so gut fühlte.
Der Wald war wunderschön. Die warme Morgenluft war angenehm. Sie war frisch geduscht. Der Autositz war sehr bequem. Die Kratzer und Blutergüsse spürte sie fast gar nicht mehr. Auch die Kopfschmerzen waren dank Aspirin
Weitere Kostenlose Bücher