Das Spiel - Laymon, R: Spiel
schüttelte den Kopf. Anscheinend verstand er kein Wort von dem, was Jane sagte.
»Wer?«
»Haben Sie den Brief geschrieben?«
» Welchen Brief?«
»Keine Angst, das ist schon in Ordnung. Ich bin nur neugierig, verstehen Sie? Man kriegt ja nicht jeden Tag einen geheimnisvollen Brief mit Geld drin.«
»Ich weiß nichts von einem Brief.«
»Ganz sicher?«
»Was ist das für ein Brief?«
»›Komm und spiel mit mir? Für weitere Anweisungen: Schau heimwärts, Engel?‹ So einen Brief meine ich. Mit einer Fünfzigdollarnote drin.«
Er sah ehrlich verwirrt aus. »Der ist bestimmt nicht von mir. Wenn ich fünfzig Dollar hätte, würde ich sie nicht verschenken. « Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Na ja, an Sie vielleicht schon. Wenn Sie das Geld wirklich dringend brauchen würden. Dann vielleicht.«
Wenn das der Typ ist, der sich Mog nennt, dachte Jane, dann kann er wirklich außergewöhnlich gut lügen.
»Also gut«, sagte sie. »Vielleicht waren Sie es doch nicht.«
»Haben Sie irgendwas in dem Buch gefunden?«, fragte er.
Sie wandte sich wieder dem Roman zu, blätterte ihn durch und überprüfte den Schutzumschlag. Dann stellte sie das Buch wieder zurück. »Ich glaube, da ist noch eine Ausgabe …«, sagte Brace.
»Weiß ich schon.« Sie zog das zweite Buch heraus. Noch bevor sie es richtig in der Hand hatte, bemerkte sie ein Stück weißes Papier, das wie ein Lesezeichen hineingesteckt worden war.
»Da haben wir’s ja«, sagte Brace offensichtlich zufrieden.
Jane öffnete das Buch und fand einen weiteren Umschlag.
Er war identisch mit dem, den sie auf ihrem Stuhl gefunden
hatte. Auch ihr Name darauf war in derselben Handschrift geschrieben.
Sie zog den Brief heraus und klappte das Buch zu.
»Hoppla«, sagte Brace.
»Was?«
»Vielleicht hat er eine bestimmte Stelle markiert.«
»Haben Sie wirklich nichts mit der ganzen Sache zu tun?«
»Ehrlich nicht. Ich will Ihnen nur helfen.«
»Haben Sie sich die Seitenzahl gemerkt?«
»Nein. Tut mir leid.«
»Ich mir auch nicht. Ist vielleicht gar nicht so wichtig.« Sie stellte das Buch zurück ins Regal und richtete sich auf.
Der Umschlag war zugeklebt.
»Soll ich gehen?«, fragte Brace.
»Nein, bleiben Sie nur. Ich habe Ihnen ja schon alles über den anderen Brief erzählt.« Sie schaute Brace an. »Und Sie sind sich sicher, dass Sie nichts damit zu tun haben?«
»Ziemlich sicher.«
»Was soll denn das heißen?«
»Fast einhundert Prozent.«
»Im Sinne von: Sie wollen nicht ausschließen, dass es nicht doch eine ihrer multiplen Persönlichkeiten gewesen ist – hinter Ihrem Rücken sozusagen?«
»Ja, das kommt ungefähr hin.«
»Okay. Dann wollen wir mal.« Sie drückte auf den Knopf des Springmessers. Mit einem Ruck schoss die Klinge aus dem Griff. Sie schob die Spitze in den Umschlag und schnitt ihn auf.
Darin befand sich eine weitere Seite linierten Papiers. Sie entfaltete es und spitzte die Lippen.
»Wow«, entfuhr es Brace. »Sieht aus, als hätten Sie gerade eine Lohnerhöhung bekommen.«
Jane nahm die Hundertdollarnote in die andere Hand und las den handschriftlichen Brief laut vor:
Herzlichen Glückwunsch, meine liebe Jane! Du hast den ersten kleinen Schritt zu einer Menge Spaß und Reichtum gewagt. Das hier war nur der Anfang. Traust du dich, weiterzumachen? Ich hoffe es. Mach doch um Mitternacht einen Ausritt. Du wirst es nicht bereuen.
Dein MOG.
3
»Sieht so aus, als wäre das Spiel noch nicht vorbei«, sagte Brace, als sie fertig gelesen hatte.
Sie nickte. Irgendwie hatte sie jetzt ein ungutes Gefühl.
»Haben Sie keinen Verdacht, wer dahinterstecken könnte?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
»Auf jeden Fall ist er ziemlich spendabel.«
»Gehen wir«, sagte Jane leise. Sie steckte Zettel und Geldschein in den Umschlag zurück und nahm das Messer wieder an sich. »Halten Sie die Augen offen, ja? Er könnte sich hier oben versteckt halten.«
»Na hoffentlich. Vielleicht gibt er mir auch einen Hunderter. «
»Solange das alles ist, was er vorhat …«
Brace blieb an ihrer Seite, als sie die restlichen Regalreihen abschritt und dann wieder zum Ausgang zurückkehrte. Er sagte nichts, wirkte aber aufmerksam und angespannt.
Jane bemerkte, wie beunruhigt er war. Das war ein gutes Zeichen. Anscheinend schätzte er die Situation ähnlich ein wie sie selbst: Jemand, der solche Briefe schrieb und Geld verschenkte, war mit Sicherheit nicht normal – vielleicht sogar gefährlich.
Er will sich bestimmt
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