Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
drinnen ein unbeschreiblicher Gestank. Der schreckliche Geruch eines sich seit Tagen zersetzenden menschlichen Körpers.
Lischka warf einen raschen Blick auf die Leiche, bevor ein Tuch über den Körper gebreitet wurde. Efrussis Augen waren weit aufgerissen, erstarrt im Moment seiner Ermordung. An der Kehle hatte er eine klaffende Schnittwunde. Konnte Luise von Schattenbach das Messer geführt haben?, fragte sich Lischka. War die Frau des Hofrats zu einer solchen Gräueltat fähig? Efrussi schien ein alter, gebrechlicher Mann gewesen zu sein. Körperlich war die junge Frau ihm eindeutig überlegen. Aber warum hätte Luise von Schattenbach so etwas tun sollen?
Lischka wandte sich um und trat auf die Schaufensterauslage zu. Er hatte nicht die gleichen Fähigkeiten wie Julius, aber er erkannte sofort den filigranen Armreif, den er gemeint haben musste. Er nahm ihn an sich und trat wieder auf die Straße.
„Ist irgendjemandem etwas Besonderes aufgefallen?“, wandte er sich an die Umstehenden.
Die Wand aus stummen Gesichtern vor ihm blieb reglos und starrte den Inspektor fragend an.
Eine alte Frau knuffte einen neben ihr stehenden Jungen in die Seite. „Du hast doch was erzählt, Miroslav. Sag’s dem Inspektor.“
Der Junge druckste eine Weile herum und sagte dann mit verlegenem Gesicht: „Vor ein paar Wochen hab ich Efrussi ein Brot vorbeigebracht. Und da war eine Frau in seinem Laden. Eine schöne Frau. So eine, die sonst nicht in unser Viertel kommt.“
„Da sagst du was“, murmelte Lischka. Er ließ sich die Frau beschreiben und bekam das Äußere von Luise von Schattenbach aus dem Mund des Jungen zu hören.
„Und habt ihr diese Dame in den letzten Tagen noch einmal gesehen?“
Allgemeines Kopfschütteln.
Konnte es tatsächlich sein, dass Luise den Juwelier ermordet hatte, um ihn als Zeugen ihres Einkaufs bei ihm aus dem Weg zu räumen? Würde sie tatsächlich so weit gehen? Aber warum? Lischka hatte mit Julius’ Hilfe doch längst herausgefunden, dass sie diesen Mordanschlag des Bildermörders nur inszeniert hatte. Warum, war ihm allerdings immer noch ein Rätsel. Und war es so wichtig, dass sie deswegen einen Menschen töten würde? War es das Geheimnis, das auch Julius hinter den Türen des Kunsthistorischen Museums vermutete?
***
In der Pezzlgasse reihten sich die sauberen Fassaden bürgerlicher Zinshäuser aneinander und sprachen der Vorstellung Hohn, dass hier ein Massenmörder wohnen sollte.
Inspektor Lischka hatte im zentralen Melderegister nach Ludwig Rohrbach gesucht und ihn gefunden. Der Mann war in dem Jahr hier eingezogen, als er aus Brünnlfeld entlassen worden war.
Lischka trat durch einen Hofdurchgang, in dem der Schnee sauber zur Seite geschaufelt worden war. Seine Schritte knirschten laut unter dem Gewölbe. Im Hof selbst war die weiße Schneedecke zertrampelt. Zwei Laternen beleuchteten die beiden Hauseingänge, in deren Schatten der Inspektor die Namensschilder vermutete.
Er trat an den rechten Eingang und studierte die Messingschilder. L. Rohrbach stand auf dem zweituntersten Schild.
Dann fragte er sich, wie er weiter vorgehen sollte. Plötzlich war es, als erstarrte sein Tatendrang in der eisigen Kälte. Lischka wusste, dass dieser Hof eine Sackgasse war und dass dies nicht die richtige Methode war, um einen Mörder zu fassen. Er trat einen Schritt zurück.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Lischka fuhr herum. Der Anblick des Mannes, der wie aus dem Boden gewachsen zu sein schien und regungslos vor ihm stand, jagte dem Inspektor einen eisigen Schauder durch die Glieder.
Der Mann trug einen Hut, dessen Krempe das Gesicht in Schatten tauchte. Und dennoch reichte das spärliche Licht der Hoflaternen aus, um die Züge von Alois Lanz bloßzulegen. Selbst durch das Zwielicht schien die Quelle all des Wahnsinns, der Inspektor Lischka am Schlafen hinderte, durchzuscheinen.
Und der Schauder, der ihn im Bann hielt, kam nicht vom Erschrecken, sondern von der schlagartigen Erkenntnis, dass ein wahrhaft unheimliches Wesen vor ihm stand. Ein Agent von etwas unbegreiflich Bösem. Etwas, das es nicht geben durfte, dachte Lischka.
Es wäre ein Kinderspiel gewesen, den Arm auszustrecken und den Mann festzuhalten. Ihn zu überwältigen. Doch Lischka fühlte plötzlich eine Hemmung, als säße vor ihm im Schnee ein Lamm, das er zertreten sollte. Er konnte es nicht. Das eigenartige Zwielicht des Hofes und das Wissen, dass es eigentlich Ludwig Rohrbach
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