Das stille Gold der alten Dame
mir eine Stimme.
Ich drehte mich um. Den Kerl hatte ich
eben flüchtig in einem Sessel der Hotelhalle gesehen. Jung, gute Figur,
angenehmes Äußeres, sehr sympathisch. Sein Auftreten war so ungezwungen, als
käme er grade aus dem Pfandhaus. An einem Riemen um seinem Hals hing so was
Ähnliches wie ‘ne Geldkatze eines Busschaffners. Aber er war sicher kein
Angestellter der R.A.T.P.
„Mein Name ist Maurice Lemay “, stellte er sich vor. „Reporter bei Europe 1.“
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte ich.
„Sie sind ja ein fixes Kerlchen. Woher, zum Teufel, wußten Sie...“
„Ich könnte Ihnen erzählen, daß wir
‘ne dynamische Truppe sind“, sagte er lächelnd. „Das stimmt auch, aber
rauszukriegen, daß Sie hier wohnen, war ganz einfach. Hab den Artikel im Crépuscule gelesen und wollte Sie interviewen. Ich
fuhr also zu Ihrer Agentur, und wen seh ich da
rauskommen? Richtig, Ihre Sekretärin. Ich bin ihr ganz einfach hierher gefolgt.
Sehr angenehm, ihr zu folgen, wenn Sie so geht...“
„Ja, von hinten sieht sie nicht
schlecht aus.“
„Von vorne auch nicht.“
Hélène verdrehte die Augen.
„Sie wären ‘n prima Detektiv“, lobte
ich den jungen Mann. „Besser als meine Sekretärin.“
Jetzt wurde Hélène rot.
„Was ich will, ist ‘ne prima
Reportage“, sagte Lemay und klopfte auf das tragbare
Tonband vor seinem Bauch. „Das Ding hier nimmt alles auf. Was können Sie
unseren Zuhörern erzählen?“
„Nicht viel.“
„Erzählen Sie uns doch nur, was Sie
als Zeuge gesehen haben. Mehr wollen wir gar nicht.“
Ich tat ihm den Gefallen, ohne
Einzelheiten zu erwähnen oder den Grund zu nennen, weshalb ich am Tatort
gewesen war. Der fliegende Reporter bat auch Hélène, ein paar Worte zu sagen.
Diese verdammte Schauspielerin, die sich verfolgen ließ wie ‘n Bauerntrampel
aus dem hinterletzten Dorf von Seine-et- Oise , ließ
sich nicht lange bitten. Als der Mann von Europe 1 samt Tonband weg war,
trennten sich auch die Wege von Hélène und mir. Meiner führte mich zu Madame
Ailot.
* * *
Sie erwartete mich ungeduldig, war
ganz durcheinander, gleichzeitig nervös und niedergeschlagen. Ihr ging’s den
Umständen entsprechend. Andere Umstände, sozusagen, als sie gewohnt war.
Inspektor Gregoire hatte das Rauschgift in Suzan- nes Zimmer gefunden.
„Ich frage mich, wie sie sich das Zeug
verschaffen konnte“, seufzte sie.
„Ich nicht. Sicher hat es ihr Yves
Bénech besorgt. Ein komischer Heiliger, Ihr Chauffeur! Meiner Meinung nach
gehörte er einer Gang an.“
„Einer Gang? Ach ja, natürlich“, sagte
sie, als handelte es sich um die natürlichste Sache der Welt. Doch plötzlich
runzelte sie die Stirn. „Einer Gang? Was meinen Sie damit? Banditen?
Verbrecher? In Passy?“
Das konnte doch gar nicht sein.
Lächerlich! Löcherläch ! Forchtbar löcherläch !
„Eine Gang, die ihr Unwesen nur in
Passy treiben kann. Genau das, Madame. Spezialisiert auf Schmuckdiebstahl und
Erpressung. Eine Vereinigung verdächtiger Individuen, die das Vertrauen
unvorsichtiger reicher Leute ausnutzen. Die von deren... äh... menschlichen
Schwächen profitieren. Nur so ‘ne Idee von mir. Glaub aber nicht, daß ich damit
falsch liege.“
„Ja“, sagte sie langsam und errötete
schnell. „Dabei hatte Bénech ausgezeichnete Referenzen, soweit ich mich
erinnere“, fügte sie hinzu, als läge dort das Problem.
„Diese Leute, Madame“, klärte ich sie
auf, „haben immer ausgezeichnete Referenzen. Was ihren Schmuck betrifft: Er ist
weder in Bénechs Hotelzimmer noch in der Rue Berton
gefunden worden. Hätte mich auch überrascht. Obwohl... man weiß ja nie... Aber
wahrscheinlich hat er ihn an seine Komplizen weitergereicht, die sich um den
Verkauf kümmern. Ich glaube, ich weiß so ungefähr, welche Spur ich verfolgen
muß. Daß diese Spur mich zu Ihrem Schmuck führen wird, kann ich nicht
garantieren. Übrigens... Bin ich immer noch damit beauftragt, den Schmuck
wiederzufinden?“
„Ja, natürlich...“
Klang wenig begeistert. Offensichtlich
waren die Klunker in den Hintergrund getreten.
„Tun Sie Ihr Bestes“, seufzte meine
Klientin.
„ Werd’s versuchen.“
Ich holte die herzförmige Brosche aus
der Tasche, die ich unter der Kommode im Totenhaus in der Rue B ertön gefunden
hatte.
„Sehen Sie sich die mal an“, forderte
ich Madame Ailot auf. Sie fuhr hoch und stotterte:
„Aber... das... aber das ist ja meine
Brosche! Wie... Wo haben Sie sie gefunden?“
„In der Rue
Weitere Kostenlose Bücher