Das Stockholm Oktavo
Weine,
All meinen Gläubigern böt ich gut’ Nacht.«
Die Uzanne verzog das Gesicht. Sie hasste die Trinklieder von Bellman, diesem vertrottelten Royalisten aus der Gosse, aber Meister Fredriks Vertrautheit mit den Gepflogenheiten des einfachen Volkes verschaffte ihm Zugang zu einer gesellschaftlichen Schicht, die sie selbst nur von ferne kannte. Meister Fredrik hatte die Reimkunst des Rinnsteins im Blut, und das war hin und wieder ganz nützlich, denn er konnte seine Feder aufs Erfinderischste mit dem Gift tränken, das irgendwo auslief. Einmal hatte er einem unverschämten Bankier Hörner aufgesetzt, indem er im
Stockholmer Tagblatt
anonym eine abscheuliche Ode auf die schlüpfrigen Eskapaden von dessen Gattin veröffentlicht und dabei Reime wie
pudendum/stupendum
benutzt hatte. Und er hatte in einem Sonett im
Nya Posten
das Hämorrhoidenleiden eines altgedienten Ministers enthüllt.
Die Uzanne ersetzte ihre Grimasse durch eine heitere Miene und schritt zum Empfang des Meisters. Rotgesichtig vom Singen und schwitzend von der langen Kutschfahrt stand er da und lächelte über seinen Auftritt.
»Hier gibt es keine Prinzessinnen, Meister, nur eine alternde Matrone, die Ihren sachverständigen Rat braucht.« Sie wartete den heftigen Widerspruch auf ihre Äußerung ab und fuhr dann fort: »In den kommenden Monaten werden Sie wohl öfter die anstrengende Reise nach Gullenborg auf sich nehmen müssen.«
»Enchanté, Madame«
, antwortete er und verbeugte sich trotz seiner vierschrötigen Statur sehr anmutig. Hinter dem einfachen Schnitt seiner Kleider verbarg sich eine Vorliebe für teures Tuch und meisterhafte Maßschneiderei. Sein brauner Umhang war aus italienischer Seide, die Säume waren mit passenden gestreiften Litzen eingefasst. Die Knöpfe waren aus geschnitztem schwarzen Horn, und die Spitze, die aus seinen Manschetten ragte, kam aus Belgien. Seine schwarzen Schuhe waren blitzblank poliert, seine Perücke war ordentlich gekämmt und perfekt gepudert, er roch dezent nach Kölnischwasser mit einer Note von Tabak. Das ganze Jahr über trug er Handschuhe, auf diese Weise wolle er sein Werkzeug schützen, wie er behauptete, aber so blieben auch seine Hände weich und makellos – die Hände eines Aristokraten. Nur die Fingerspitzen verrieten seinen bürgerlichen Stand, denn trotz mehrfachen Schrubbens hatten sie immer leichte Tintenflecke. »Dann kann ich ja meinen Hunger auf anregende Gesellschaft stillen. Ich war in diesem Sommer oben im Norden auf dem Land und fand dort alles andere als angemessene Nahrung.«
Die Uzanne ging ihm in einen geräumigen Salon voraus, in dem lediglich ein grau-weiß gestreifter Diwan, ein weißer Holzstuhl mit gepolstertem Sitz und Rückenlehne im selben Stoff sowie ein runder Kaffeetisch standen. Sie bot ihm Platz auf dem Stuhl an und setzte sich selbst auf den Diwan. Sie schenkte zwei Tassen ein, reichte eine dem Meister und fing dann an, die Aufgaben aufzuzählen, die er für sie erledigen sollte. Für die kommende Saison brauchte sie eine Menge Einladungen und Visitenkarten, denn sie wollte ihre Schule für junge Damen wiedereröffnen und auch nichtadligen Mädchen die Aufnahme ermöglichen.
»Eine gewagte und moderne Haltung, Madame«, sagte Meister Fredrik mit Bewunderung auf jeder Silbe.
»Finden Sie?« Dieser Schritt war Teil ihres umfassenderen Plans, noch mehr junge Mädchen mit dem Geist der Patrioten zu füllen wie Zuckerdosen. Die Mütter würden zustimmend nicken, die jüngeren Geschwister ihrem Beispiel folgen, die Väter und älteren Brüder würden schließlich nachfolgen. Alle Unterstützung, die Gustav noch im Bürgertum hatte, konnte von den Frauen zersetzt werden. Und wenn die Uzanne Unterricht hielt, konnte sie dazu Herren und Offiziere einladen und immer die neuesten Informationen aus Regierungs- und Militärkreisen bekommen. »Und ich möchte für die Eröffnung auch einen neuen Ort. Bei Hof kann sie nicht stattfinden – ich habe geschworen, keinen Fuß mehr ins Schloss zu setzen, bis die alte Verfassung wieder in Kraft ist.« Meister Fredrik nickte seufzend. »Aber die Eröffnung braucht einen königlichen Stempel«, sagte sie. »Ich denke da an einen Maskenball in der Oper.«
Als Anwärter auf einen Adelstitel konnte Meister Fredrik seinen Kummer über eine verpasste Vorstellung bei Hofe nicht verbergen, aber er sah auch die Vorteile eines Maskenballs. »Ein Maskenball! Wie ich das liebe! Bürgerliche und Königliche können sich ungehemmt
Weitere Kostenlose Bücher