Das Stonehenge - Ritual
versucht in Gideons Augen zu lesen. Es ist durchaus möglich, dass Nathaniel diese Information nicht preisgegeben hat. Genauso ist aber auch denkbar, dass sein Sohn weiß, wo sich das Heiligtum befindet, das aber nicht zugibt, um sich nicht in Gefahr zu bringen. »Für einen Außenseiter bist du sehr gut informiert. Für einen nicht Initiierten, meine ich.«
Gideon rückt näher an ihn heran. »Lasst mich an alledem teilhaben. Lasst mich beitreten. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll, nachdem ich nun meinen Vater verloren habe. Durch seinen Schwur bin ich unwiderruflich mit den Geheiligten verbunden.«
»Selbst wenn es unser Wunsch wäre, dich in die Zunft aufzunehmen, ist fraglich, ob du schon dazu bereit bist. Die Initiation ist eine Zeremonie des Suchens. Sie setzt voraus, dass zwischen dem Henge-Meister und dem Novizen absolutes Vertrauen besteht. Vertrauen ist das Einzige, woran der Bewerber sich klammern kann, wenn sein Blut vergossen wird. Der Schmerz ist unerträglich, unvorstellbar.«
Gideon senkt den Kopf. »Genau das will ich.«
Der Meister legt eine Hand unter Gideons Kinn, hebt es an und sieht ihm in die Augen. »Woher sollen wir wissen, dass du nicht aus unserer Mitte heraus den Widerstand deines Vaters fortsetzen würdest?«
Gideon fährt auf. »Ich will weder Ihnen noch den Jüngern schaden. Ich möchte dazugehören. Genau wie mein Vater es
früher
wollte. Ich wünsche mir ein Leben in Fülle, gesegnet von den Geheiligten. Ich möchte nicht mit Krankheit geschlagen sein und erst recht nicht den Rest meines Lebens in der ständigen Furcht verbringen, dass ich überfallen oder mein Haus in Brand gesteckt werden könnte.« Der Meister begreift, dass es tatsächlich gute Gründe gibt, warum Gideon daran gelegen sein könnte, sich der Zunft anzuschließen. Hinzu kommt, dass sie durch seine Ermordung das Risiko eingehen würden, enttarnt zu werden. Womöglich würde die Öffentlichkeit von der Existenz der Zunft erfahren und das Ritual der Erneuerung unterbrochen. Unentschlossen geht er auf und ab. »Es gibt etwas, womit du uns deine Loyalität und dein Engagement beweisen kannst. Solltest du bereit sein, uns diesen Beweis zu liefern, wäre ich im Gegenzug bereit, persönlich für dich zu bürgen. Die Initiation könnte bereits heute Abend beginnen.«
»Welchen Beweis?«
»Die Bücher deines Vaters. Wenn du sie uns aushändigst, kannst du einer von uns werden.«
Gideon schüttelt den Kopf. »Ich weiß, wie die Initiation abläuft. Ich bin bereit, mein Fleisch eurem Messer und meine Knochen eurem Hammer auszusetzen. Ist das nicht genug?«
»Nein. Die Bücher sind das Messer, das du an
unser
Fleisch hältst, und deine Drohungen der Hammer, den du über
unseren
Knochen schwingst.«
Gideon sucht krampfhaft nach einem Ausweg aus dieser Pattsituation. »Ich gebe euch vor meiner Initiation ein Viertel der Bücher, und ich mache den Anruf, der dafür sorgen wird, dass nichts bei der Polizei landet. Nach meiner Initiation bekommt ihr ein weiteres Viertel der Bücher. Nach Ablauf eines Jahres überlasse ich euch dann weitere fünfundzwanzig Prozent.«
»Damit wären wir erst bei fünfundsiebzig Prozent. Wann bekommen wir die letzte Rate?«
»Vielleicht nie.« Gideon lächelt. »Oder vielleicht dann, wenn ich so viel über die Zunft gelernt habe, dass ihr mit mir zufrieden seid. Wenn ihr eines Tages bereit seit,
mich
zu eurem Meister zu machen.«
104
Caitlyn rennt um ihr Leben. So schnell, wie ihre nackten Füße es erlauben. Am Ende eines kurzen, dunklen Durchgangs hält sie inne. Er führt nach links und nach rechts. Sie entscheidet sich für rechts und rast weiter – froh darüber, dass das grobe Gewand, das sie trägt, ihr so viel Bewegungsfreiheit lässt.
Sie ist schnell. Nicht umsonst hat sie täglich trainiert. Fünf Kilometer auf dem Laufband, fünf auf dem Ellipsentrainer. Nun ist sie froh über jede Stunde Training. Diese Leute haben sie eingesperrt, sie hungern lassen und ihr Angst gemacht, aber sie ist immer noch stark und fit.
Vor ihr liegt eine Biegung. Den weiteren Verlauf des Gangs kann sie nicht erkennen, dafür ist es zu dunkel. Mit ein bisschen Glück läuft sie an einer Außenwand entlang und stößt bald auf einen Ausgang. Sie wirft einen Blick über die Schulter. Keine Spur von den Männern. Das Ganze ist größer, als sie dachte. Viel größer. Die Steine, auf denen sie läuft, sind irgendwie beschriftet. Als sie genauer hinsieht, stellt sie fest, dass es sich um
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