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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk C. Fleck
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und die Ngarinjin am Kimberleyplateau, ausschließlich den Gesetzen ihrer Region zu gehorchen hatten, egal ob sie dorthin umgesiedelt waren oder an ihren angestammten Plätzen verblieben. Ein erstaunliches Zugeständnis nach all dem Leid, das den Ureinwohnern nach der Kolonisierung durch die Briten ab dem späten achtzehnten Jahrhundert zugefügt worden war. Er klappte den Laptop zu und gesellte sich zu Rajani, Steve und Maeva.
    »Obwohl jeder Stamm an ein bestimmtes Gebiet gebunden war«, hörte er Rajani sagen, »gewährten sich die Stämme untereinander Zugang zu ihren Territorien. Bei Nahrungsüberschüssen zum Beispiel. Man heiratete auch gerne in einen anderen Stamm hinein, um den Zusammenhalt untereinander zu festigen. Für alle Stämme galt und gilt noch heute: Wir müssen das Land so hinterlassen, wie es seit fünfzigtausend Jahren von Generation zu Generation an uns weitergegeben wurde. Die Aborigines lesen die Landschaft wie ein spirituelles Buch. Die Spuren ihrer Ahnen finden sie überall: ob in Wasserlöchern oder Felsformationen. Diese Stätten sind ihnen heilig. Sie sind durch sogenannte Traumpfade miteinander verknüpft. Der ganze Kontinent stellt ein Kompendium an Informationen dar, die sich jedoch nur denjenigen erschließen, die wach und respektvoll mit ihnen umgehen. Ich finde es wunderbar, dass die neue australische Verfassung dieser Kultur wieder Rechnung trägt.«
    Die Pause, die Rajani entstehen ließ, wäre für Cording eine gute Gelegenheit gewesen, seine Fragen zu stellen, aber er zog es vor, zu schweigen.
    »Wir haben soeben mit unserem Landeanflug begonnen«, ließ sich die Stimme des Kapitäns vernehmen, »wenn es Ihnen recht ist, werde ich die Seesternstadt in niedriger Höhe vor der Landung noch einmal umkreisen, es ist ein imposanter Anblick.«
    Maeva schaute aus dem Fenster. Eigentlich hatte sie vorgehabt, dieses große Meer aus Sand, wie sie Australien nannte, mit dem Auto zu durchqueren, aber eine solche Tortur wollte sie Rajani Bala nicht zumuten.
    »Wie groß ist die Region der Aborigines?«, fragte Steve.
    »Ziemlich groß«, antwortete Rajani, »sie erstreckt sich über 1700 Kilometer von der am Indischen Ozean gelegenen Küstenstadt Broome im Norden bis zum ehemaligen Seebad Esperance im Süden. Im Osten bildet der Salzsee Disappointment am Rande der Gibsonwüste die Grenze. Die Seesternstadt befindet sich in der Mitte der Nord-Süd-Achse hinter der Peron Peninsula, nicht weit vom Meer entfernt. Ich zeig es dir nachher auf der Karte.« Sie breitete die Arme aus: »Kommt und seht mein Land«, deklamierte sie lachend, » kommt mit offenen Ohren, offenen Augen und offenen Herzen! So sprechen die Aborigines, und so wollen wir es auch halten …«
    Das Flugzeug legte sich in die Kurve. Über dem linken Flügel tauchten plötzlich diese glitzernden, glasigen Monstergebäude auf, die ihre Tentakel in den Wüstensand streckten. Zwölf waren es, sie erinnerten tatsächlich an gestrandete Seesterne. Ihren Nahrungsmittelvorrat schienen sie gleich mitgebracht zu haben, denn sie waren von sattem Grün umgeben, als seien solche Vorgärten in der australischen Wüste das Selbstverständlichste von der Welt.
    Ludwig Liebherr entsprach so gar nicht dem Typus des ordentlichen deutschen Architekten. In seinem langen Staubmantel, den er in der Hitze auch noch geschlossen trug, wirkte er wie die Karikatur eines Westernhelden. Andererseits erinnerten die wachen flinken Augen und das vom Wind zerzauste schüttere Haupthaar an Albert Einstein.
    »Willkommen, herzlich willkommen«, nuschelte er und gab Steve, Cording, Rajani und Maeva die Hand, genau in dieser Reihenfolge. Dann ging er wortlos zum Bus, der in einiger Entfernung wartete. Konvention und Konversation waren offenbar nicht sein Ding, dachte Cording, dem der Kauz auf Anhieb sympathisch war. Als Liebherr in dem temperierten Elektrogefährt zum Mikrofon griff, war klar, was ihm der Rede wert war: seine Arbeit. Oder besser gesagt, die gehorsame Umsetzung (er nannte es wirklich so) göttlicher Ideen, wobei er unter Gott die gesamte Natur verstand – »Wie soll ich sagen, eben diese ganze geballte Intelligenz … Mag sein, dass Ihnen meine sich selbst ernährenden Siedlungen wie Dependancen einer fernen Galaxie vorkommen, mag schon sein … Dabei nehmen die Häuser doch nur die Form eines Seesterns auf. Sie wurde diesem Tier von der Evolution in Jahrmillionen zugewiesen, damit es sich gegen die gewaltigen Strömungskräfte im Ozean

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