Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
erführe, was sich irgendwo auf der Burg abspielt! Selbst eine Bemerkung, die jemand in einem der Ställe fallen lässt, entgeht mir nicht. Heißt das, dieses Mädchen ist in die Mordtat verstrickt?«
»Ich habe keine Ahnung, mein lieber alter Freund. Ich spüre, da besteht eine Verbindung, aber einordnen kann ich sie nicht. Bisher weiß ich nur, dass ihre Mutter Liamuin hieß.«
Bruder Conchobhar sperrte verwundert die Augen auf. »Wenn das kein sonderbarer Zufall ist!«
»Zudem ist diese Liamuin bereits vor Jahren verschwunden, und das Mädchen behauptet, sie wisse nicht, was aus ihr geworden ist, sie vermutet sogar, ihr Vater hat sie ermordet. Sie war die Frau eines Flussfischers. Könnte diese Liamuin irgendeine Beziehung zu meinem Bruder gehabt haben?«
»Das klingt höchst seltsam«, bekräftigte der alte Apotheker. »Dem wirst du sorgfältig nachgehen müssen. Kommt das Mädchen von weit her?«
»Sie gehört zu den Uí Fidgente. Ihr Vater hat ihren Aussagen nach auf dem Fluss Mháigh gefischt, gleich neben der Hauptfestung der Stammesoberen der Uí Fidgente.«
»Nimm dich in Acht vor übereilten Schlussfolgerungen, auch wenn sie dir noch so logisch erscheinen«, riet ihr der Alte bedächtig. »Bloß weil ihre Mutter so hieß, darf man sie nicht sofort verdächtigen.«
»Sei unbesorgt, das mache ich schon nicht. Hier auf der Burg ist sie unser Gast, wenn auch nicht ganz freiwillig. Sie wird nicht in ihre Kammer verbannt, aber ich habe Dar Luga beauftragt, sie im Auge zu behalten. Sie darf die Burg nicht verlassen und soll sich von den Gemächern des Königs fernhalten. Wie du richtig sagst, wir müssen ihre Erklärung, warum sie ausgerechnet jetzt nach Cashel gekommen ist, sorgsam überprüfen.« Sie wandte sich zum Gehen und bat noch:»Vergiss nicht, es mich wissen zu lassen, sobald sich der Zustand meines Bruders ändert.«
Als Eadulf ins Wohnquartier kam, bot sich ihm ein friedliches Bild. Alchú saß auf einem Stühlchen, und seine Kinderfrau Muirgen wies auf verschiedene Sachen im Raum, deren Bezeichnungen er brav nannte. Kaum hatte er den Vater erblickt, sprang er auf und lief ihm mit ausgestreckten Armen entgegen. Eadulf fing ihn auf und schwenkte ihn ein paarmal herum, der Junge jauchzte vor Vergnügen.
»Wann gehen wir reiten, Vater?«, fragte er, kaum dass er wieder Luft hatte.
»Ziemlich gleich«, versicherte ihm Eadulf. »Sobald deine Mutter zurück ist, sie schaut nur noch einmal nach ihrem Bruder.«
»König Am-Nar?«, fragte der Dreijährige.
Eadulf schmunzelte. Alchú wusste schon, dass Colgú ›König‹ war, und begriff auch, dass er Mutters Bruder war, also sein Onkel. Ein Onkel mütterlicherseits war ein amnair , und der Junge hatte seine Mühe, das Wort annähernd richtig auszusprechen.
»Ist König Am-Nar sehr krank, Vater?«
»Es geht ihm nicht gut«, wich Eadulf aus.
»Muss er sterben?«, wollte Alchú wissen. Eadulf setzte sich und nahm ihn auf den Schoß. »Irgendwann muss alles einmal sterben.«
»Die Katze ist vorige Woche gestorben«, fiel dem Jungen ein. »Mutter sagt, sie war schon alt. Ist König Am-Nar auch alt?«
Muirgen räusperte sich laut und blickte Eadulf vorwurfsvoll an. Nach ihrem Dafürhalten sollte man einen kleinen Jungen mit solchen Dingen nicht behelligen.
»Als ich eben hereinkam, hörte ich, dass du schon die Wörter für viele Sachen weißt«, lenkte Eadulf ihn ab.
Der Junge zog eine Schnute. »Ach, das war doch lauter einfaches Zeug. Tisch, Stuhl, Schrank … Ich kann auch was anderes. Hör mal, Vater, ich kann sogar in der Sprache zählen!«
Eadulf freute sich im Stillen. Alchú nannte seine Muttersprache immer »die Sprache«, berla , und unterschied sie damit von Fidelmas Irisch, der Alltagssprache, die ihn ständig umgab.
»Dann zeig mal, was du kannst!«, ermunterte ihn Eadulf.
»An, twegan, thrie, feower, fif, six, seofan …«
Der Junge machte eine Pause, runzelte die Stirn. Einen Moment war Eadulf versucht, ihm einzuhelfen, doch schon zählte Alchú weiter: »Eachta, nigon, tiene« , und strahlte siegesbewusst.
»Gut gemacht, Sohn.« Eadulf klatschte Beifall. »Bald können wir beide uns richtig unterhalten.«
Muirgen schniefte verächtlich. »Wozu den Kopf des Jungen mit solchem Zeug vollstopfen? Was soll ihm dieses sächsische Kauderwelsch nützen, wenn er eine Kuh auf dem Markt in Cashel kaufen will?«
Eadulf schüttelte bekümmert den Kopf. »Du siehst die Welt zu eng, Muirgen. Andere Sprachen zu sprechen ist ein großer
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