Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Vorteil, außerdem hilft es, den Verstand rege zu halten. Nebenbei bemerkt, es ist die Sprache meines Volks – der Angeln.«
»Das mag ja gut und schön für dich sein, Bruder Eadulf, aber du wohnst nicht mehr im Lande der Angeln. Der Junge lebt hier, und hier wird es ihm nichts nützen. Bestimmt ist im Kopf eines Kindes kein Platz für Sachen, die es hindern, die eigene Sprache ordentlich zu lernen. Bald wird er alles durcheinanderbringenund nicht mehr wissen, wie er sich ausdrücken soll. Zu vieles Lernen macht das Hirn nur krank.«
Eadulf musste schmunzeln. »Meinst du etwa, mein Hirn hat gelitten, oder das von Lady Fidelma?«
Muirgen wurde rot. »Das habe ich überhaupt nicht gesagt«, wehrte sie sich heftig.
»Überleg doch mal, Lady Fidelma spricht ihre eigene Sprache, dazu Latein, Griechisch und etwas Hebräisch – das sind die drei Sprachen, in denen der Neue Glaube entstanden ist. Sie spricht sogar meine Muttersprache und kann daher auch mit den Franken reden, selbst die Bretonen versteht sie. So wie du es siehst, dürfte sie gar nicht imstande sein, sich diese Sprachen anzueignen, wenn sie davon im Kopf krank wird.«
»Lady Fidelma ist eine kluge und außergewöhnliche Frau«, erwiderte Muirgen unerschrocken. »Haben die Priester uns nicht beim Bau des Turms zu Babel vor der Sprachenverwirrung gewarnt? Sie sagen, es war Gottes Wille, dass wir alle in einer Sprache reden sollen, dass es nur der Teufel war, der uns in so vielen Sprachen reden ließ.«
»Die Geschichte kenne ich etwas anders. Da heißt es, es war Gott selbst, der die Menschen beim Turmbau in vielen Sprachen reden ließ und sie dann in die vier Winde der Welt zerstreute.«
»So hat mir der Priester es nicht erzählt, Bruder Eadulf. Er hat gesagt, nach der Verwirrung und Zerstreuung der Sprachen hat unser großer König Fenius Farsaid Gelehrte in die vier Ecken der Welt entsandt, und mit Gottes Segen haben sie Kenntnis von den zweiundsiebzig Sprachen erworben, die bei der Zerstreuung entstanden. Nach bestem Vermögen haben sie ihr Wissen von den Sprachen zusammengetragen und daraus eine einzige wahre Sprache geschaffen. Und diese Sprache wurde nach Gaedheal Glas benannt, dem Pflegesohnvon Fenius. Deshalb heißt unsere Sprache Gälisch, nach Gaedheal eben, der sie in unser Land gebracht hat.«
»Welche Sprache sollen wir also sprechen, wie hat Gott es gewollt, Muirgen?« Eadulf mühte sich, das ernsthaft zu fragen, obwohl er sich das Lachen kaum verkneifen konnte.
Muirgen sah seine Miene und wandte sich empört ab, und Eadulf hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Mit dem, was andere Menschen glauben, durfte man nicht spaßen, dessen war er sich bewusst.
»Entschuldige, Muirgen, ich wollte dir nicht weh tun. Ich wollte nur sagen, da nicht alle eine gemeinsame Sprache haben, ist es gut, mehrere Sprachen zu lernen, damit wir uns verständigen können, besonders mit unseren nächsten Nachbarn. Es wäre betrüblich, wenn Sprachen untergehen, weil wir sie verachten. Stell dir mal vor, was uns fehlen würde, wenn im Laufe der Zeit selbst die Sprache der Könige von Éireann verlorenginge und mit ihr all unsere Sitten und Gebräuche.«
Muirgen drehte sich zu ihm um und lachte. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst, Bruder Eadulf. Eher werden die Berge zusammenstürzen, als dass so etwas geschieht. Aber gut, ich will dulden, dass Alchú die Sprachen lernt, die er möchte, wenn seine Mutter das zulässt. Schließlich ist Lady Fidelma eine Adlige, die Schwester eines Königs und stammt selbst von Königen ab«, betonte die Kinderfrau, als müsse sie sich rechtfertigen.
»Und ist Alchú nicht auch mein Sohn?« Eadulf fühlte sich irgendwie verletzt, haderte aber gleichzeitig mit sich, weil er einen unfreundlichen Ton angeschlagen hatte. Muirgen war eine schlichte Seele und hatte gewiss nicht auf seine Herkunft und Stellung am Königshof anspielen wollen. Nach den Landesgesetzen war er ein cú glas , ein »grauer Fuchs«, das bedeutete, er war ein Zuwanderer von jenseits der Meere ohne jedeRechte und ohne Ehrenpreis. Bei seiner Heirat mit Fidelma hatte ihre Familie ihn als Mitglied aufgenommen, ihm war die Stellung eines deorad Dé , »Verbannten Gottes«, zuerkannt worden. Deshalb stand ihm die Hälfte des Ehrenpreises zu, der Fidelmas Rang entsprach, jedoch hatte er weder Rechte noch Verantwortlichkeit für die Erziehung seiner Kinder. Das alleinige Sorgerecht in all diesen Dingen hatte Fidelma. Möglicherweise wusste Muirgen das gar nicht.
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