Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
reckte Fidelma ihr Kinn. »Ich bin Fidelma von Cashel, Schwester deines Königs Colgú.«
»Nicht meines Königs, Frau«, bekam sie spöttisch zur Antwort. »Wenn du Fidelma von Cashel bist, warum trägst du dann Kleidung wie diese da? Es ist doch allgemein bekannt, dass Colgús Schwester sich dem frommen Dienst verschrieben hat. Alle Welt spricht nur von Schwester Fidelma.«
Fidelma kniff die Augen zusammen, ein gefährliches Zeichen. »Mag sein. Aber wenn du so gut im Bilde bist, ist dir vielleicht auch nicht entgangen, dass ich dem Kloster entsagt habe und mich voll und ganz den Aufgaben einer dálaigh widme, als Anwältin an meines Bruders Hof tätig bin.«
Sie erntete nur ein abschätziges Grunzen, und mit einem Blick auf Eadulf forschte er: »Und wer ist der Fremdländische da?«
»Ich kann für mich selbst sprechen«, beeilte sich Eadulf zu sagen. »Ich bin Eadulf von Seaxmund’s Ham im Lande des Südvolks, der Angeln.«
»Du klingst ganz schön hochnäsig, Sachse«, höhnte der Mann.
»Ich gehöre zu den Angeln.«
»Angle oder Sachse – ist doch egal. Ein Fremdländischer bist du.«
»Du weißt nun, wer wir sind; es ist also an der Zeit, dass wir erfahren, wer du bist«, erklärte Fidelma und wollte ihm zeigen, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließ.
Der Anführer schaute sie einen Moment an und meinte: »Das halte ich für überflüssig.« Dann wandte er sich an einen seiner Gefährten. »Die drei hier brauchen ihre Pferde nicht. Geh und lass sie frei.«
Der Mann grinste ihn an und trabte zu der kleinen Koppel, die Gormán behelfsmäßig zusammengeflickt hatte. Gleich darauf hörte man Rufe und den dumpfen Aufschlag von Hufen auf weichem Grund. Der Reiter kam zurück.
»Wir hatten beschwerliche Zeiten, da hätten wir die Pferde gut gebrauchen können«, erklärte der Anführer lässig, »aber jetzt lassen wir sie gern laufen.«
Er gab den beiden Männern neben ihm einen Wink, sie saßen mit gezogenen Schwertern ab und näherten sich den Gefangenen, während die Bogenschützen schussbereit mit gespanntem Bogen auf den Pferden blieben.
»Ihr habt die Wahl – das jetzt erfolgt entweder ohne Blutvergießen oder es wird für euch sehr ungemütlich«, drohte der Anführer.
»Was verlangt ihr von uns?«, fragte Fidelma argwöhnisch.
»Nur das, was ihr an Wertvollem bei euch habt. Wir nehmen eure Wertsachen und verschwinden.«
»Ihr seid nichts weiter als Diebe? Räuber?« Fidelma konnte es nicht fassen.
»Hast du etwa gedacht, wir wären Krieger mit hochfliegenden Absichten?«, fragte er lachend zurück. »Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche. Ich bin ganz einfach ein Räuber, der euch etwas entlasten möchte, zum Beispiel von solchen Dingen wie dem goldenen Reif, den dein Freund da um den Hals trägt.«
Noch während er sprach, begannen die beiden Männer mit auf ihn gerichteter Waffe Gormán zu durchsuchen, nahmen ihm den Dolch ab, den er am Gürtel trug, den goldenen Reif, das Erkennungszeichen seines Rangs, zogen ihm einen Ring vom Finger und eigneten sich auch ein paar weitere Schmuckstücke an. Dann machten sie bei Eadulf weiter. Ihn erleichterten sie um sein silbernes Kruzifix und etliche andere Wertsachen, darunter auch um das silberne Siegel, das ihm Bruder Conchobhar gegeben hatte.
Mit blitzenden Augen warnte Fidelma den Anführer der Räuberbande. »Könnte sein, du bereust diesen Tag noch.«
Er wehrte nur gelangweilt mit einer Handbewegung ab. »Könnte sein. Aber das Wort ›könnte‹ bezeichnet ja nur den Bereich des Möglichen. Ich könnte bereuen oder auch nicht. Das ist eher etwas für die Wahrsager.«
Erbarmungslos blieben die Pfeile auf Fidelma gerichtet, und die beiden Banditen erledigten mit geübten Griffen ihren Auftrag. In wenigen Sekunden war Fidelma ihres Schmucks beraubt, ebenso ihres schmalen goldenen Halsreifs. Auch der kleine weiße Amtsstab aus Haselnuss in ihrem marsupium entging ihnen nicht, in den ein kleines Bild aus Gold eingelegt war. Es stellte einen Hirsch mit Geweih dar und war ein Zeugnis dafür, dass Fidelma mit allen Machtbefugnissen des Königs ausgestattet war. Fidelma und ihre Gefährten konnten nur hilflos zuschauen, wie alles in die Beutesammlung wanderte. Dann stopfte einer die Wertsachen in einen Beutel und band ihn an seinem Sattel fest, während der andere sich in der Ruine umtat, ob sich dort noch etwas Brauchbares fand. Schon bald war er wieder da und hielt Gormáns Schwert in der Hand, das er seinem Anführer übergab.
Weitere Kostenlose Bücher