Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Behälter, und Jana erbrach sich erneut. Ihr Magen war längst leer, und so kam nur noch saure Flüssigkeit, die ihr in der Kehle brannte.
Jana verlor jedes Gefühl für Tag und Nacht. Die Zeit zog sich dahin wie ein Strudelteig, den Radomila so gerne gemacht und mit Äpfeln und Nüssen gefüllt hatte. Aber sowohl Radomila als auch Prag schienen Jahre weit weg, irgendwo in der Vergangenheit. Aus Minuten wurden Stunden und aus Stunden Tage.
Meist döste Jana vor sich hin. Wenn Doktor Pfeiffer kam, zwang er sie Wasser zu trinken und ein paar Bissen trockenes Brot zu essen. Aber Jana behielt nur wenig davon im Magen.
Sie hatte gehofft, in einem der Häfen, in denen sie vor Anker gingen, das Schiff für ein paar Stunden verlassen zu können, aber sie wurde enttäuscht. Don Juan Pedro befahl seinen Seeleuten, frisches Wasser und wenn nötig etwas Proviant an Bord zu holen, und schon segelten sie wieder weiter. Jana sah weder die Dächer und Kirchtürme von San Sebastian noch die Stadtmauer von Santander und auch nicht den Hafen von Gijon. Als Pfeiffer ihr beschreiben wollte, wie imposant und mächtig La Coruña vom Hafen aus wirkte, fühlte sie sich bereits so schwach, dass sie sich nicht vorstellen konnte, jemals wieder lebend einen Schritt an Land zu setzen.
»So kann es nicht weitergehen«, sagte Pfeiffer ernst, »Ihr lebt wie eine Gefangene in einem kleinen unterirdischen Loch. Ich werde mit dem Kapitän reden. Vielleicht könnt Ihr doch gelegentlich an Deck gehen, dort würde es Euch deutlich bessergehen.«
Jana nickte, aber sie glaubte nicht, dass es ihr irgendwo auf diesem Schiff bessergehen würde. Solange es dermaßen schwankte, war ihr übel. Aber sie hielt Pfeiffer nicht zurück.
Wenig später kam der Arzt freudestrahlend wieder. »Der Kapitän ist einverstanden, dass Ihr an Deck geht. Aber erst, wenn es draußen dunkel ist. Er meint, der Steuermann und die Deckswache würden vielleicht gar nicht merken, wenn eine Frau in irgendeiner Ecke hockt.«
»Wie freundlich von ihm«, sagte Jana bitter, ohne die Augen aufzuschlagen, und so sah sie auch die Sorge im Blick des Arztes nicht. Sie bemerkte auch nicht, wie Doktor Pfeiffer die beiden Reisetagebücher und die Karten in eine Holzschachtel stopfte, die er an Deck gefunden hatte. Zusammen mit seinen medizinischen Instrumenten, seiner Ledertasche und dem verbleibenden Geld schob er alles in ein kleines leeres Holzfass und polsterte Schachtel und Ledertasche mit seinen Ersatzkleidungsstücken aus. Er wollte ihren wertvollen Besitz vor möglichen Dieben und auch vor dem neugierigen Kapitän schützen.
Später, als die Matrosen der Tagwache in ihren Hängematten schliefen, kletterte Pfeiffer mit Jana am Arm an Deck. Kaum hatten sie die knarrenden Bretter betreten, blies ihnen frischer Wind entgegen und wirbelte ihr Haar durcheinander. Jana hatte ihre Haube abgenommen, ihr langes blondes Haar flog im Wind. Sie holte tief Luft, erleichtert nach der stickigen, nach Lampenöl stinkenden Kammer. Kühle, feuchte, nach Salz schmeckende Luft streichelte ihre Haut.
Augenblicklich fühlte Jana sich besser. Meerwasser wehte ihr ins Gesicht und bedeckte Wangen und Lippen mit einer feinen Schicht winzig kleiner Tröpfchen. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass sie sich so frei und froh gefühlt hatte. Das Schwanken des Schiffes schien ihr auf einmal gar nichts mehr auszumachen.
»Das ist herrlich«, sagte Jana dankbar zu Pfeiffer, der nun sehr dicht hinter ihr stand und immer noch schützend ihren Arm hielt, damit er sie auffangen konnte, falls sie stürzte.
Der Himmel über ihnen war wolkenlos und sternenklar, der Mond beinahe voll. Er leuchtete so kräftig, dass Jana sich nach der Dunkelheit und Enge der Kajüte vorkam wie eine Tänzerin in einem hell erleuchteten, weiten Saal.
Auf einer Seite des Schiffs war nur das endlose Meer, auf der anderen sah Jana die dunklen Umrisse der Küste.
»Es freut mich, dass es Euch wieder bessergeht«, sagte Pfeiffer mit belegter Stimme.
Jana wagte nicht, sich umzudrehen, sie wollte den magischen Augenblick nicht zerstören. Wenn sie jetzt etwas sagte, dann würde Pfeiffer ihren Arm loslassen und einen Schritt zurücktreten. Vorsichtig lehnte sie sich nach hinten und rechnete damit, dass er ihr auswich, aber der Arzt blieb stehen. Sie konnte seinen Herzschlag spüren. Für einen Moment schloss Jana die Augen. Sie fühlte sich so stark von dem Mann hinter sich angezogen, dass sie beinahe Angst bekam. Ob er ähnlich
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