Das Sündenbuch: Historischer Roman (German Edition)
Ihr eine passende Kammer für mich?«
»Selbstverständlich«, sagte der Wirt nun deutlich erleichtert. »Der Balkon liegt so, dass Ihr freien Blick auf das Tor zum Markt habt. Es gibt kaum eine andere Möglichkeit, auf den Markt zu gelangen, außer man befindet sich bereits im Zentrum der Stadt. Und es stehen schon Erfrischungen und ein kleines Abendessen für Euch bereit.«
Der Entstellte nickte zufrieden.
»Und besorgt mir aus einer Apotheke etwas gegen die Schmerzen. Mein Bein krampft schon wieder.«
»Wünscht Ihr etwas Bestimmtes?«
»Opium!«, sagte der Mann mit Nachdruck, und der Wirt erbleichte. Er hatte keine Ahnung, wie er an Opium gelangen sollte, ohne jemanden zu bestechen. Aber die Dringlichkeit in der Stimme des Jesuiten machte klar, dass er das Mittel irgendwie auftreiben musste.
*
Am nächsten Tag war Conrad deutlich verändert. Er wirkte ernst und verschlossen, schon beim Frühstück druckste er herum und erfand Ausreden, um nicht gleich nach Ferdinand Schratter suchen zu müssen. Er brauchte lange, bis er mit dem Essen fertig war, was sonst nie der Fall war, und schlug dann vor, zunächst auf den Markt am Campo de Santa Clara zu gehen, weil er dringend ein neues Rasiermesser brauche. Am Weg durch die Stadt ging er immer langsamer, gelegentlich blieb er sogar stehen und bestaunte Häuser und Bauwerke, an denen er sonst vorbeigelaufen wäre.
Schließlich meinte er: »Ich glaube, es ist besser, ich gehe zuerst in eine der Universitätsbibliotheken und suche nach Hinweisen auf den Schatz.«
»Aber wie willst du in die Bibliothek hineinkommen? Du bist doch kein Mitglied der Universität«, wandte Jana ein. Sie hatte längst bemerkt, dass Conrad das Treffen mit seinem Freund und ehemaligen Lehrer noch hinausschieben wollte.
»Wovor fürchtest du dich?«, fragte sie und musste schreien, weil die Menschen um sie herum so laut waren.
Jana und Conrad befanden sich auf einer der Hauptstraßen ins Zentrum der Stadt. Einige Männer zogen schwere Handkarren über die holprigen Pflastersteine, andere sangen oder unterhielten sich lautstark mit einer ganzen Gruppe von Leuten. Es war erstaunlich, wie viele Menschen sich an ihnen vorbeizwängten. Jana schob Conrad aus der bunten Menschentraube und drängte ihn in eine der schmalen Seitengassen, in der es deutlich ruhiger war. Auf einem der Randsteine, die dazu dienten, die Pferdefuhrwerke am Streifen der Hauswände zu hindern, setzte sie sich und wartete auf eine Antwort.
Auf dem Balkon über ihnen fütterte eine Frau drei Singvögel, die ihr Leben in einem winzigen Käfig fristen mussten. Dabei sang sie fröhlich und goss dann ihre üppig blühenden Oleandersträuche. Ein Teil des Wassers landete neben Jana, erschrocken sprang sie auf und suchte sich einen anderen Stein, von denen es in der Gasse genug gab.
Conrad ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Sein Gesicht hatte wieder den überheblichen Ausdruck, den Jana von ihrer gemeinsamen Reise so gut kannte. Aber zum ersten Mal wurde ihr klar, dass diese Miene keine Arroganz zeigte, wie sie immer vermutet hatte, sondern Verschlossenheit und Angst. Conrad wollte nicht, dass jemand hinter seine Fassade blickte. Etwas in ihr schmolz, und sie fühlte sich ihm sehr nah.
Conrad seufzte nun laut und meinte schließlich: »Ich verstehe nicht, warum dich das so interessiert.«
»Weil es dich betrifft und du mich interessierst«, erwiderte Jana ruhig.
Conrad verschränkte die Arme vor der Brust. »Also, meinetwegen. Du gibst ja ohnehin keine Ruhe, bevor du es nicht erfahren hast.« Er machte eine kurze Pause und sagte dann: »Ich glaube, ich habe ihm bis heute nicht verziehen.«
»Was verziehen?«, fragte Jana neugierig. Sie glaubte die Antwort zu kennen, doch sie wollte die Worte aus Conrads Mund hören. »Dass er dich um deinen Gewinn aus dem Verkauf des Pergaments gebracht hat?«
Rasch schüttelte Conrad den Kopf.
»Nein, ich weiß gar nicht, wie viel Ferdinand eigentlich bekommen hat. Es war ja erst der Kaufmann, der diese unglaubliche Summe vom Kaiser kassieren konnte.«
»Was ist es dann?«, bohrte Jana nach.
»Ich habe ihm nie verziehen, dass er mich verlassen hat, und aus diesem Grund …« Conrad beendete den Satz nicht.
Aber Jana blieb hartnäckig. »Aus diesem Grund …?«
»… habe ich auf seine Briefe nie geantwortet und bin ihm auch nie nachgereist«, sagte Conrad trotzig und starrte auf seine Fußspitzen.
»Aber das stimmt nicht. Jetzt bist du hier und willst ihn sehen.«
Conrad
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