Das Syndikat der Spinne
die Tür öffnete. Ohne einen Ton zu sagen, traten sie ein. Laskin legte einen Finger auf die Lippen als Zeichen, dass sie nicht sprechen sollten.
Julia Durant sah ihn an. Er wirkte ruhig und gefasst, während Natascha die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Sie rauchte hastig, und immer wieder ging ihr Blick unruhig zu Laskin und den Beamten. Die Kommissarin deutete auf den Fernseher und gab Laskin ein Zeichen, ihn anzumachen. Er drückte auf die Fernbedienung und schaltete auf SAT1, wo gerade eine Serie begann. Sie nickte, zeigte auf das Zimmer von Irina Puschkin, wo sich Hellmer verstecken sollte, und auf das Zimmer von Natascha, wohin Kullmer sich begab. Sie selbst ging in die Küche, Laskin folgte ihr. Er nahm ein DIN-A4-Blatt und einen Stift und schrieb: »Ich weiß nicht, ob die Wohnung verwanzt ist, aber draußen steht ein Wagen mit zwei Männern drin. Angeblich sollen sie auf mich aufpassen. Ich bin sicher, Jakobi kommt noch heute.«
Julia Durant schrieb: »Und was macht Sie da so sicher?«
Laskin: »Ich spüre es einfach. Er ist wahrscheinlich schon hier in der Gegend.«
Durant: »Haben Sie Angst?«
Laskin: »Nein. Ich verlasse mich auf Sie.«
Durant: »Wir werden unser Bestes tun. Gehen Sie wieder zu Natascha, und unterhalten Sie sich mit ihr. Tun Sie so, als würden Sie sich absolut sicher fühlen. Ich bleibe hier in der Küche. Und wenn es klingelt, dann soll Natascha an die Tür gehen.«
Laskin nickte nur, erhob sich und begab sich zu Natascha ins Wohnzimmer. Durant zündete sich eine Zigarette an und pulte in Gedanken versunken und vor Nervosität mit dem Zeigefinger die Haut am Daumen ab. Sie bemerkte es, schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen Zug. Während sie den Rauch durch die Nase ausblies, fragte sie sich, was wohl wäre, wenn sie bei einem Einsatz ihr Leben verlieren würde. Sie hatte noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, aber jetzt zum ersten Mal verspürte sie so etwas wie Unbehagen. In den letzten beiden Jahren hatte sie nur einmal die Waffe ziehen müssen, als zwei gesuchte Vergewaltiger und Mörder ihr auflauerten, aber nicht wussten, dass sie von der Polizei war. Einen von ihnen hatte sie mit einem gezielten Schuss verwundet, der andere hatte nur gejammert und gewinselt. Das war aber nicht zu vergleichen mit der Situation, in der sie sich nun befand. Jakobi war ein anderes Kaliber, einer, der eine ganz besondere Ausbildung genossen hatte, einer, der kaltblütig und menschenverachtend handelte und dabei äußerst geplant und unauffällig zu Werke ging. Einer, der sogar seinen besten Freund für Geld umbringen würde. Und einer, der die gesamte Klaviatur des Tötens beherrschte, einer, von dem selbst die meisten in seinem Umfeld nicht einmal im Traum ahnen würden, dass er ein Auftragskiller war. Und das bereitete Durant ein mulmiges Gefühl, denn sie wusste ja nicht, was wirklich in den nächsten Minuten oder Stunden passieren würde.
Es war inzwischen nach neun, die Sonne, die seit ihrem Aufgang den ganzen Tag geschienen hatte, verabschiedete sich und begann sich allmählich hinter dem Taunus zur Ruhe zu setzen. Die Temperatur hatte trotz des Sonnenscheins die Zwanzig-Grad-Marke kaum überschritten, ein kühler Nordostwind hatte die große Hitze vertrieben. Durant drückte die Zigarette aus, ging zur Toilette, wusch sich die Hände und das Gesicht, überprüfte ein weiteres Mal ihre Pistole und begab sich zurück in die Küche. Sie vermutete, dass Jakobi, wenn er denn überhaupt kommen sollte, erst mit Einbruch der Dunkelheit erscheinen würde. Allerdings konnte auch nicht ausgeschlossenwerden, dass er schon vorher auftauchte, sich als jovialer und Mitleid zeigender Freund gab, um dann Laskin und Natascha den Gnadenschuss zu geben. Aber auch Freunde kamen selten mitten in der Nacht, weshalb sie den Gedanken wieder verwarf, Jakobi könnte erst um halb elf oder später erscheinen.
Sie setzte sich, legte die entsicherte Pistole vor sich auf den Tisch und zündete sich eine Gauloise an. Sie merkte erst jetzt, dass sie Hunger hatte, denn sie hatte nicht zu Abend gegessen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, den Tisch schön zu decken und alles fertig zu haben, wenn Kuhn nach Hause kam. Und sie konnte ihn nicht einmal anrufen und ihm ihr Herz ausschütten. Ein weiterer Blick auf die Uhr, zwanzig nach neun, eine weitere Zigarette, es befanden sich noch elf in der Packung. Halb zehn, zwanzig vor zehn, zehn. Sie wurde immer unruhiger. Aus dem Wohnzimmer, wo sich Laskin und
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