Das Syndikat der Spinne
hatten mir inzwischen fast alles genommen, einen Großteil meines Geldes, meine Häuser. Das Einzige, was sie mir gelassen haben, ist dieses Haus und ein Haus in der Bretagne. Wie gesagt, ich hatte keine Lust mehr. Und ich dachte auch: Was habe ich schon noch zu verlieren? Sie haben nichts weiter gesagt, nur gemeint, ich solle mir das gut überlegen. Ich hätte zwei Tage Zeit, ihnen das Geld zu geben. Nun, ich ließ es darauf ankommen und zahlte nicht. Eine Woche lang habe ich nichts von ihnen gehört, aber dann kam Sarah eines Tages, es war ein Mittwoch, nicht von der Schule heim. Meine Frau und ich dachten, sie sei vielleicht bei einer Freundin, aber alle, die wir angerufen haben, sagten, sie hätten Sarah das letzte Mal in der Schule gesehen. Noch am selben Abend hat sich dieser Abschaum bei mir gemeldet. Sie hatten sie entführt und sie mir einen Tag später mit einem abgeschnittenen kleinen Finger wieder zurückgebracht. Sie hatten sie vergewaltigt, geschlagen und verstümmelt. Dieser Abschaum geht mit einer derartigen Brutalität vor, dass ich nur noch Angst um meine Familie habe.«
Er stockte, rang mit den Tränen, schickte einen verzweifeltenBlick zu Schulze, seine Hände umfassten krampfhaft die Sessellehnen. Er hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt, stand auf, trat ans Fenster, Schulze den Rücken zugewandt, den Blick ins Tal gerichtet, und fuhr fort: »Bis zu dem Tag wusste meine Frau nichts von alldem, aber dann musste ich es ihr natürlich erzählen. Sie können sich vielleicht vorstellen, was hier los war. Sie hat geschrien, sie hat auf mich eingeschlagen, sie hat mich beschimpft, und ich kann es ihr nicht einmal verdenken, denn sie fühlte sich genauso hilflos wie ich. Als sie sich beruhigt hatte, sagte sie, wir müssten die Polizei einschalten, aber genau das war das Problem – an wen sollte ich mich wenden? Und außerdem weiß ich ja nicht einmal, wo diese Typen wohnen. Also zahlte ich wieder, denn mir war klar, dass es, wenn ich mich noch einmal weigern würde, das nächste Mal nicht bei einem abgeschnittenen Finger bleiben würde.«
Er hielt inne, drehte sich um und sah Schulze mit leerem Blick an. Er kam wieder an den Tisch und schenkte den Rest aus seiner Flasche ins Glas und leerte es.
»Ich habe lange mit mir gerungen, aber ich werde jetzt endgültig einen Schlussstrich ziehen, ich werde mit meiner Familie von hier weggehen. Es ist bereits alles arrangiert, schon am Wochenende wird hier nichts mehr an uns erinnern, genauer gesagt morgen. Ich weiß nur nicht, wie es dann weitergehen soll. Ich habe zwar etwas Geld gespart, aber ich kann nicht einmal dieses Haus verkaufen, denn sie würden das sofort herausbekommen. Ich besitze zwar noch das Haus in Frankreich, doch davon haben sie, dessen bin ich mir sicher, ebenfalls Kenntnis. Ich habe das Gefühl, die wissen alles über mich. Aber auch wenn ich keine Ahnung habe, was die Zukunft bringt, ich muss meine Familie schützen. Und deshalb werde ich gehen und woanders einen Neuanfang versuchen. Das ist meine Geschichte.«
Schulze hatte sich Notizen gemacht und gleichzeitig das Band mitlaufen lassen.
»Wo werden Sie hingehen?«, fragte er.
Andrejew schüttelte den Kopf. »Sie werden verstehen, dass ichIhnen das nicht sagen kann. Nicht einmal meine Familie weiß es. Es wird ein Ort sein, den nur ich kenne und der ziemlich weit weg ist von hier.«
»Aber Ihre Familie ist bereits eingeweiht?«
Jetzt lächelte Andrejew verschmitzt. »Nein. Sie erfahren es erst heute Abend. Es wird eine große Überraschung für sie werden.«
»Und wenn man Sie beobachtet?«
»Ich habe alles bis ins kleinste Detail geplant. Heute ist der letzte Tag in diesem Haus.«
»Und wo sind Ihre Frau und Ihre Kinder jetzt?«
»Sie sind oben. Ich habe gesagt, dass ich wichtigen Besuch bekomme und allein gelassen werden möchte.«
Schulze beugte sich nach vorn, die Hände gefaltet, die Unterarme auf die Oberschenkel gelegt. »Dr. Andrejew, mein bester Freund lebt mit einer Kommissarin von der Kriminalpolizei Frankfurt zusammen. Sie bearbeitet zurzeit einen Doppelmord, und alles deutet darauf hin, dass ein Auftragskiller die beiden umgebracht hat.« Ohne genau sagen zu können, warum er das tat, fügte er aus dem Bauch heraus hinzu: »Die beiden Toten heißen Irina Puschkin und Andreas Wiesner.«
Andrejew setzte sich plötzlich aufrecht hin, sah Schulze aus weit aufgerissenen Augen an, und seine Mundwinkel bebten. Er stand auf und zündete sich einen Zigarillo an.
Weitere Kostenlose Bücher