Das Syndikat
Fernseher. Thierry Traessart schob das Tablett mit dem leeren Suppenteller auf den Nachttisch und legte sich wieder hin. Maries Hühnersuppe schmeckte ihm, er verlangte sie immer wieder seit seiner Rückkehr. Endlich hatte der Schneeregen aufgehört, am Himmel zeigte sich sogar ein hellblauer Streifen zwischen den Wolken.
Es war richtig gewesen, diese beiden Wissenschaftler zu retten, jedenfalls vom menschlichen Standpunkt aus gesehen. Ein Teil von ihm hatte ihnen sogar verziehen, und er wollte, dass es auch der andere Teil von ihm tun würde. Hass vergiftete das Herz, verschloss es gegen die Liebe. Das spürte er jetzt ganz deutlich, nachdem er diese schwere Entscheidung gefällt hatte.
»Bisher genügte der Eintrag im Impfbuch, damit Kinder in die Schule aufgenommen wurden«, hörte er gerade den Nachrichtensprecher sagen. »In einem Eilverfahren hat die EU beschlossen, dass ab dem ersten März dieses Jahres jedes Neugeborene mit einem Chip ausgestattet werden muss, auf dem der Impfstatus gespeichert wird und jederzeit kontrolliert werden kann. Die Software stammt von der Firma Legend , dem Marktführer für Datenbanksoftware. Weiterhin verabschiedete die EU im Rahmen ihrer Antiterrormaßnahmen, den Chipcode als Zugangsberechtigung für Online-Dienste einzuführen. Dies erleichtere den Behörden die Identifizierung von Usern, die auf militante und der Terrorszene zuzurechnende Seiten zugreifen. Der versuchte Biowaffenanschlag hätte schon sehr viel früher vereitelt werden können, wenn man entsprechende Antiterrormaßnahmen angewendet hätte, sagte ein Sprecher.«
Thierry blickte auf, als Marie ins Schlafzimmer kam.
»Für dich«, sagte sie und gab ihm das Telefon. »Diese Journalistin, von der ich dir erzählt habe.«
Er stellte den Fernseher leiser und gab ihr ein Zeichen, dass sie ruhig dableiben könne. Er richtete sich in den Kissen auf, und sie setzte sich auf die Bettkante.
»Hallo?«
»Karen Burnett«, sagte die Frau, »ich habe mit Ihrer ...«
»Sie hat mir alles erzählt«, unterbrach er sie und tauschte einen Blick mit Marie.
»Wie geht es Ihnen?«
»Es geht schon.«
»Man hat Ihnen einen Chip implantiert ...«, hörte er sie sagen.
»Ja.«
»Haben Sie ihn noch?«
»Ich bin ihn los«, sagte er.
»Sie haben Ihn herausgeschnitten?«
»So ungefähr, ja.«
»Aber es heißt, dass eine tödliche Menge ...«
»Das heißt es, ja.«
»Sie haben trotzdem ...? Sie haben sich ...?«
»Weshalb rufen Sie an?«, unterbrach er sie. Er brauchte weder Mitleid noch Entsetzen.
Sie schien zu begreifen, denn sie fragte: »Waren Sie oder einer Ihrer Mitkämpfer im Feldlazarett in Kabul?«
»Ja ... nach dem ... nach diesem Einsatz mussten ein paar von unseren Leuten wegen kleinerer Verletzungen behandelt werden. Ich auch. Mein Knie.«
»Wann war das? Nach dem ...«
»Das Datum? Das werde ich wohl nie vergessen. Nach dem zweiundzwanzigsten Oktober. Warum fragen Sie?« Er warf Marie einen fragenden Blick zu, doch sie zuckte bloß mit den Schultern und hob die Augenbrauen.
»Und Sie wurden dort abgeschirmt?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich war am zweiundzwanzigsten Oktober in diesem Lazarett, habe aber nichts von Ihnen und Ihren Leuten gehört. Danach wurde ich entführt.«
»Glauben Sie ...«, auf einmal verstand er, »... man wollte verhindern, dass Sie mit uns in Kontakt kommen?« Ein Zittern breitete sich wie eine elektrische Welle in seinem Innern aus, er spürte es, aber er wusste, dass es nur aus ihm selbst heraus kam, dass es nur mit ihm zu tun hatte, nur mit ihm, und das beruhigte ihn.
»Sind Sie noch dran? Hören Sie«, sagte er, »in diesem Chip kann man alle möglichen Wirkstoffe, Hormone, Medikamente deponieren. Wir verhalten uns dann wie ... wie Tiere, wie Insekten. Bei Bienen oder Ameisen zum Beispiel, da gibt es die Arbeiterinnen, die Kriegerinnen ... Hallo? Sind Sie noch dran?«
»Ja ...«
»Bei uns – bei mir und meinen Leuten – war es offenbar der Klingelton unserer Handys, das hat mir dieser Wissenschaftler verraten. Aber es könnten auch Frequenzen sein, die man nicht hören kann. Mikrowellen ... alles. Aber ... hören Sie Nachrichten? Es gibt eine Macht da draußen, eine Macht, die uns lenken will, die uns unseren Willen nehmen will. Diese Leute achten darauf, dass sie namenlos und gesichtslos bleiben, verstehen Sie! Sie zeigen sich nicht! Sonst könnte man sie ja bekämpfen.« Er holte Luft. »Sie sind raffiniert, skrupellos, sie wollen die Welt beherrschen, sie wollen uns
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