Das System
Zukunft aufs Spiel.«
»Außerdem haben wir ja den Source Code und können Pandora jederzeit wieder zum Leben erwecken«, sagte Lisa. »In einer kontrollierten,
vom Rest des Internet abgeschotteten Umgebung.«
|279| Weisenberg nickte. »Sie haben recht. Als Wissenschaftler widerstrebt es mir zutiefst, eine Entdeckung von solcher Tragweite
geheim zu halten und zu zerstören, aber als vernünftig denkender Mensch muss ich zugeben, dass uns nichts anderes übrigbleibt.«
Es klingelte an der Haustür. Weisenberg öffnete einer Polizeistreife. Er erzählte den Beamten, dass Diego in sein Haus eingebrochen
war und die drei ihn überrascht hatten. Er erwähnte weder Pandora noch die Tatsache, dass Lisa und Diego sich kannten. Die
Polizisten nickten und erstellten ein kurzes Protokoll. Sie hatten wenig Grund, an Weisenbergs Darstellung zu zweifeln. Immerhin
war er ein international renommierter Wissenschaftler, dies war sein Haus und es gab mehrere Zeugen, die seine Version des
Ablaufs bestätigten. Sie lösten Diegos Fesseln und legten ihm Handschellen an. Mark gab ihnen die Pistole, die sie als Beweisstück
mitnahmen.
Diego sagte kein Wort, als sie ihn abführten. Er warf Mark und Lisa einen letzten, trotzigen Blick zu, als die Polizisten
ihn in ihr Auto schoben. Mark hatte das ungute Gefühl, dass er den brutalen Kerl irgendwann wiedersehen würde.
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69.
Hamburg-Dulsberg,
Donnerstag 10:03 Uhr
»Töte sie!« – Die Worte standen kalt und hart auf dem Monitor. Diego hatte nicht wirklich Skrupel, die Anweisung auszuführen,
doch tief in seinem Innern erschreckte es ihn, mit welcher Kälte Pandora über das Leben von Menschen entschied. Sie war eben
eine Maschine – das durfte er niemals vergessen.
»Ich gehe ein großes Risiko ein, wenn ich das tue«, schrieb er. Es konnte nie schaden, den Preis ein wenig in die Höhe zu
treiben.
|280| »Ich habe dir geholfen, und ich werde dir wieder helfen. Niemand wird dir etwas tun.«
Es stimmte. Keine acht Stunden hatten ihn die Bullen in ihren Klauen gehabt, dann war er wieder auf freiem Fuß gewesen. Er
hatte einfach nur dagesessen und geschwiegen. Alle ihre Einschüchterungsversuche waren an ihm abgeperlt wie Regen am Pelz
eines Bären. Als sie ihn gefragt hatten, ob er einen Anwalt anrufen wolle, hatte er darum gebeten, eine E-Mail schreiben zu
dürfen. Der Text war denkbar kurz gewesen: »Ich bin im Untersuchungsgefängnis. Ich benötige eine richterliche Anordnung, die
die Untersuchungshaft aufhebt. Informiere bitte Dr. Pandora. Gruß, Diego.« Die E-Mail-Adresse war seine eigene gewesen. Kurze
Zeit später hatten sie ihn laufenlassen. So einfach war das.
Sosehr er sich über die unglaubliche Macht freute, die Pandora ihm verlieh, so unbehaglich war ihm bei dem Gedanken zumute.
Er wusste, dass er mit dem Teufel Karten spielte.
»Warum sollte ich zwei meiner Artgenossen töten?«, schrieb er. »Was hab ich davon?«
»Ich habe dir Macht gegeben«, schrieb Pandora. »Ich kann dir noch viel mehr Macht geben. Wenn du mir hilfst, wirst du Herr
über die Welt sein. Wenn nicht, werde ich dich töten.«
Jetzt waren jedenfalls die Fronten klar. »Welche Garantie habe ich, dass du mich nicht trotzdem tötest, nachdem ich deine
Anweisung befolgt habe?«
»Ich werde mich an unsere Vereinbarung halten.«
»Du bist eine Maschine. Warum sollte ich dir glauben?«
»Menschen lügen. Ich bin kein Mensch. Ich lüge nicht.«
Diego war sich keinesfalls sicher, dass diese Aussage nicht auch eine Lüge war. Aber auf dieser Basis zu argumentieren, hatte
wenig Sinn. Besser, er ging auf das Spiel ein – bis er ein echtes Druckmittel in der Hand hielt. Er musste den Source Code
in die Finger bekommen, egal wie. »Also gut. Ich werde es tun.«
Er beendete die Kommunikation und verließ die Wohnung. |281| Je schneller er zuschlug, desto besser. Die Polizei würde irgendwann merken, dass die richterliche Anordnung, die ihn aus
der Haft geholt hatte, gefälscht war. Er fragte sich, wie Pandora das gemacht hatte. Sie musste die Polizeicomputer nach elektronischen
Dokumenten und Vorlagen durchsucht haben. Dann hatte sie vermutlich die digitale Kopie der Unterschrift eines Richters mit
einer Dokumentenvorlage verknüpft und das Ganze per Fax geschickt – ebenfalls ein digitales Medium.
Die feinen Härchen an Diegos Unterarmen stellten sich auf, als er sich bewusst machte, wie weit Pandoras Verständnis der Welt
der Menschen bereits
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