Das System
irreal vor, wie ein schlechter Traum. Doch ein Blick auf Lisas ernstes Gesicht genügte, um ihm klarzumachen,
dass dieser Alptraum Wirklichkeit war.
Die nächsten zwei Stunden verbrachte sie damit, verschiedene Analysetools und Programmierumgebungen auf dem Laptop zu installieren.
Mark ging inzwischen zu einer Fischbude, die auch außerhalb der Saison geöffnet hatte, und holte ein paar Bismarck-Brötchen.
Der kühle, salzige Wind blies seinen Kopf frei und erfüllte ihn mit neuer Zuversicht. Zusammen mit Lisa würde er diesem Pandora-Wurm
schon einheizen!
Lisa. Ein seltsames Wesen war sie, so ganz anders als die Frauen, an die er bisher den einen oder anderen heimlichen Gedanken
verschwendet hatte. Sie sah ohne Zweifel gut aus mit ihrer grazilen Figur und den großen Augen, aber sie war eigentlich überhaupt
nicht sein Typ. Er hatte sich immer zu zarten, verletzlich wirkenden Frauen hingezogen gefühlt, die den Beschützerinstinkt
in ihm weckten – Frauen wie Julia. Lisas kühle, selbstbewusste, beinahe arrogante Art passte überhaupt nicht in dieses Bild.
Doch jetzt spürte er, wie etwas tief in seinem Inneren wuchs – eine Verbindung zu ihr, die über ihre Notgemeinschaft hinausging.
Er mochte sie. Nein, mehr als das – er bewunderte sie. Ihr scharfer Verstand, ihr manchmal rebellisches |287| Wesen, ihre eleganten, kontrollierten Bewegungen hatten eine ganz andere Qualität als Julias oberflächliche Schönheit. Warum
nur war ihm das früher nicht aufgefallen?
Er schüttelte den Kopf. Er durfte sich jetzt nicht von ihrem Ziel ablenken lassen. Vor allem durfte er Lisas Konzentration
nicht stören. Es fehlte noch, dass eine Maschine die Weltherrschaft erlangte, weil Mark Helius seine Gefühle nicht in den
Griff bekam.
Die Brötchen schmeckten hervorragend. Lisa schenkte ihm ein dankbares Lächeln und aß mit großem Appetit, wandte sich aber,
den letzten Bissen noch kauend, wieder ihrer Arbeit zu. Mark setzte sich auf das alte Ledersofa und sah ihr eine Weile zu,
doch er merkte, wie sich mehr und mehr Gedanken in sein Bewusstsein drängten, die absolut nicht zu ihrer Lage passten.
Da er Lisa nicht helfen konnte, versuchte er, sich durch Lesen abzulenken. Auf einem schmalen Bücherregal fanden sich einige
von Julias simpel gestrickten Liebesromanen zwischen vergilbten Bänden von Heinrich Heine und Thomas Mann, die das Bildungsbürgertum
ihrer Eltern dokumentierten. Er fand auch ein paar Thriller, die ihm früher als Urlaubslektüre gedient hatten – darunter ein
spannendes Buch über die Begegnung der Menschen mit einer fremdartigen, nichtmenschlichen Lebensform, die auf dem Grund der
Ozeane lebte.
Nichts davon wollte er ein zweites Mal lesen, schon gar nicht jetzt, wo er das Gefühl hatte, selbst die Hauptfigur in einem
abgefahrenen Thriller zu sein. Er blickte zu Lisa. Nein, eigentlich war sie die Hauptfigur, die Heldin. Schließlich war sie
es, die etwas
tat
, während er nur herumsaß und hoffte, dass sie ihren Job richtig machte.
Nach einer Weile hielt er es nicht mehr aus. Er sagte, er wolle ein paar Lebensmittel einkaufen. Lisa murmelte etwas Unverständliches.
Er ging zu dem kleinen Supermarkt am |288| Ende der Straße und besorgte Butter, Milch, Toastbrot, Kaffee und Tiefkühlpizza, außerdem eine Tageszeitung.
Es war warm geworden. Der Frühling hatte die letzten Erinnerungen an die kalte Jahreszeit vertrieben, und ein lauer Wind wehte
sanft vom Meer herein. Mark hatte noch keine Lust, sofort in die Wohnung zurückzukehren. Butter und Milch würden auch ohne
Kühlschrank eine Weile frisch bleiben, und die Pizza käme sowieso heute Abend in den Ofen. Also stellte er die Tüte ab, setzte
sich auf eine der Bänke mit Meeresblick und holte die Zeitung hervor.
Ein eisiges Gefühl beschlich ihn, und seine Hände begannen zu zittern, als er die scheinbar unzusammenhängenden Artikel las.
Die technischen Probleme der NASA hielten an – der Start des Spaceshuttle war erneut wegen Computerproblemen verschoben worden.
An der New Yorker Börse waren wegen eines Computerfehlers die Kurse eingebrochen. In einem Atomkraftwerk in der Nähe von Toronto
war eine Notabschaltung ausgelöst worden. In New York und Madrid war es zu Flugausfällen und stundenlangen Verspätungen gekommen,
weil die Kontrollsysteme der Fluglotsen nicht funktionierten. In Australien waren zwei Güterzüge zusammengestoßen, weil die
Signale falsche Zeichen gegeben hatten.
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