Das System
inzwischen von der See her immer näher an das Festland herangeschoben. Die Wolken wurden von Blitzen
erhellt wie flackernde Glühbirnen. Das Wetter, das sich da zusammenbraute, war nicht ungefährlich. Die Frühjahrsstürme auf
der rauen Nordsee hatten schon so manchen übermütigen Segler in Not gebracht. Es würde verdammt ungemütlich werden, wenn er
das Boot nicht bald in einen Hafen steuerte.
»Klar zur Wende!«, rief Mark und drehte den Bug in den Wind. Er hörte einen überraschten Aufschrei aus der Kajüte – offenbar
hatte Lisa seine Warnung nicht gehört. Das Boot legte sich auf die andere Seite. Mark hielt einen Kurs hart am Wind, so dass
der Bug schräg durch die immer höheren Wellenberge schnitt. Das Boot wurde emporgehoben und fiel mit harten Schlägen wieder
herab, als führen sie mit einem Geländewagen durch eine Wüste voller Schlaglöcher.
Lisa steckte ihren Kopf aus der Kajüte. »So kann ich nicht arbeiten!«, rief sie über das Flattern der Segel hinweg.
Mark deutete auf die Küste. »Wir bekommen Besuch!«, rief er.
Lisa blickte hinaus aufs Meer in die Richtung der Gewitterwolken, auf die Mark zuhielt. Dann sah sie ihn fragend an.
Mark bestätigte ihre Befürchtungen. »Könnte ziemlich ungemütlich werden. Und das Boot ist eigentlich nicht für solches Wetter
gebaut.« Er setzte ein grimmiges Grinsen auf. »Aber der Hubschrauber auch nicht.«
Lisa fuhr den Laptop herunter und verstaute ihn wasserdicht |312| im Inneren der Kabine. Dann setzte sie sich neben ihn. Schweigend segelten sie dem dunklen Himmel entgegen.
Es wurde ein bizarres Rennen. Der Hubschrauber war schneller als das Boot, aber das Gewitter näherte sich mit beträchtlicher
Geschwindigkeit und erreichte sie zuerst. Der Helikopter kam bis auf eine Entfernung von ein paar hundert Metern heran, dann
musste er abdrehen.
Die Wellen waren inzwischen auf bis zu zwei Meter angewachsen. Immer wieder brachen sich ihre Kronen über dem schlanken Bug
und schütteten Badewannen voller Wasser über der Kajüte aus. Es war ein Glück, dass Nörenberg sein Boot so besessen gepflegt
und selbst die kleinsten Ritzen gewissenhaft abgedichtet hatte, so dass kein Wasser ins Innere eindringen konnte. Mark und
Lisa hatten die Segel eingeholt und Schwimmwesten angelegt, die Lisa in einer Seekiste unter Deck gefunden hatte. Mark hatte
den Außenborder angeworfen, um dem Boot einen kleinen Rest Manövrierfähigkeit zu sichern. Der Wind sang in den Wanten und
zerrte an den Tauen, als reiche die Kraft der aufgewühlten See noch nicht aus, um die Optima zum Kentern zu bringen.
Sie saßen eng aneinandergepresst an der Pinne. Marks dünne Jacke bot kaum Schutz gegen den kalten Regen, und auch Lisa trug
nur eine leichte Windjacke. Er bereute es, dass er nicht irgendwo unterwegs für sie beide Ölzeug besorgt hatte. Das Gewitter
wurde immer heftiger. Blitze zuckten links und rechts um das Boot.
»Was passiert, wenn uns ein Blitz trifft?«, rief Lisa gegen das Tosen des Windes und das Donnern.
»Keine Ahnung«, brüllte Mark zurück.
Mindestens zwei Stunden kämpften sie mit der See. Durchnässt bis auf die Knochen saßen sie zitternd da und trotzten dem Unwetter,
das zwischendurch sogar versuchte, sie mit einem Hagelschauer zu demoralisieren.
Endlich ließ der Regen nach, die Blitze wurden seltener und der Wind flaute etwas ab. Immer noch war das Boot ein |313| Spielball der Wellen, aber es bestand keine unmittelbare Gefahr des Kenterns mehr.
Nach einer Weile riss sogar die Wolkendecke auf und offenbarte einen glühenden Abendhimmel. Die See hatte sich so weit beruhigt,
dass die Wellen das Schiff nur noch sanft emporhoben. Die Küste war außer Sichtweite. Nur die gewaltigen Wolkentürme, die
über sie hinweggezogen waren, ragten am Horizont auf.
»Mir ist kalt«, sagte Lisa.
Mark nickte. »Wir müssen uns dringend aufwärmen. Wir können das Boot eine Weile sich selbst überlassen.« Er klemmte die Pinne
fest, so dass sie vom Außenborder stetig weiter hinaus aufs offene Meer getragen wurden. Dann öffnete er die Kajütentür und
stieg hinab in den engen Innenraum.
Es gab vier Kojen, die kaum lang und breit genug waren, um einem Erwachsenen Platz zu bieten. In einem kleinen Schränkchen
fanden sie zwei Badehandtücher. Ohne Umschweife zogen sie ihre triefend nasse Kleidung aus und rubbelten ihre blau angelaufenen
Körper mit dem Frotteestoff ab. Dann standen sie nackt voreinander.
Lisa lachte.
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