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Das System

Das System

Titel: Das System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Cantoni im Moment egal, solange er überhaupt die Chance
     hatte, dorthin zurückzukehren.
    Er starrte angestrengt auf den Arm, der völlig reglos verharrte. Oder doch nicht? Hatte er dort an der Außenspitze eine leichte
     Bewegung wahrgenommen? Nein, er musste sich getäuscht haben.
    Er blickte zu Orlov. Der hatte bereits die Verkleidung des Sockels gelöst und untersuchte die Steckverbindung. »Ich komme
     nicht an die Kabel heran«, sagte er nach ein oder zwei Minuten. »Keine Chance. Wir müssen den Arm vollständig trennen.«
    »Verstanden«, sagte Cantoni. »Wenn ich …«
    Weiter kam er nicht. Er hatte sich wieder umgewandt, um den Roboterarm zu beobachten, und erschrak fast zu Tode, als er direkt
     in das Glasauge der Kamera blickte, die am fernen Ende des Arms angebracht war. Die Spitze hatte sich, aufgrund des Vakuums
     vollkommen lautlos, zu ihm herabgebogen. Es war unheimlich – die Kamera beobachtete sie wie das Auge einer metallischen Schlange.
     Er fühlte sich auf makabre Weise an eine Szene in Kubricks Film erinnert, in der eine der Bordkameras den Kommandanten des
     Raumschiffs betrachtete, kühl und ruhig und berechnend. Er musste all seine Konzentration aufbieten, um sich klarzumachen,
     dass das nicht sein konnte – dass die Rechenleistung an Bord der ISS niemals ausreichte, um so etwas wie einen eigenen Willen
     hervorzubringen. Dass es eine technische Fehlfunktion war, mehr nicht. Dass es reiner Zufall war, dass sich die Kamera |359| jetzt weniger als einen Meter vor ihm befand, direkt auf seinen Helm gerichtet.
    Einen Moment verschlug es Cantoni die Sprache. Dann endlich fasste er sich. »Juri! Der Arm …«
    Orlov drehte sich um und fluchte.
    Der Arm wandte sich ab, als habe er genug gesehen. Dann streckte er sich und formte einen langgezogenen Bogen nach oben, an
     die Spitze der Gitterstruktur, Truss genannt, an der die Solarkollektoren aufgehängt waren. Dort oben befand sich ein weiterer
     Verankerungssockel.
    »Das gibt es doch nicht«, rief Cantoni. »Das Ding haut ab!«
    Tatsächlich verknüpfte sich das entfernte Ende des Arms mit der Verankerung am Truss. Kurz darauf löste sich das andere Ende
     aus der Verankerung, an der Orlov herumgeschraubt hatte, und verschwand mit einer eleganten Bewegung nach oben.
    Dadurch, dass sich an beiden Enden dieselben Steckverbindungen befanden, konnte sich ein Ende des Arms mit einem Sockel verbinden
     und sich dann das andere von dem ursprünglichen Sockel lösen. So konnte der ganze Apparat wie eine Raupe von einem Ende der
     Station zum anderen bewegt werden. Es war eine clevere Idee der Konstrukteure gewesen, um den Arm möglichst flexibel einsetzbar
     zu machen. Cantoni war sicher, dass sie dabei nicht daran gedacht hatten, dass das Ding eine Art Eigenleben entwickeln könnte.
    Orlov fluchte erneut. »Wir müssen ihn einfangen«, sagte er.

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    88.
    Hamburg-Hafencity,
    Samstag 17:15 Uhr
    Das Unausweichliche blieb aus. Dafür hörte Unger Stöhnen und dumpfe Schreie. Er fuhr hoch. Die schlanke Schwarzhaarige hatte
     sich offenbar auf Diego gestürzt und kämpfte |360| mit ihm. Andresen rangelte ihrerseits mit Grimes, der ein Kabel oder so was um ihren Hals gelegt hatte und sie würgte.
    Der Anblick gab Unger neue Kraft. Mit Hilfe seines unverletzten linken Arms drückte er sich hoch und kam langsam auf die Knie.
     Sein rechter Arm stand in Flammen. Er ignorierte den Schmerz, rappelte sich auf, schnitt sich an einer herumliegenden Glasscherbe.
     Endlich fand er die Pistole und kam auf die Füße.
    Ein weiterer Schuss krachte. Einer der Flachbildschirme explodierte in einer Wolke aus Glas- und Plastiksplittern. Von irgendwo
     tief unter ihm drang rhythmischer Alarm.
    Unger stolperte auf die immer noch rangelnden Menschen zu. »Hände hoch! Polizei!«, brüllte er und richtete die Pistole mit
     der Linken auf die Anwesenden. Von seinem rechten Arm tropfte Blut. Seine Hand zitterte, und er hätte in diesem Zustand kaum
     ein Scheunentor treffen können, aber er hoffte, dass man das nicht sofort merkte.
    Grimes ließ das Kabel los, das er um Andresens Hals gelegt hatte, und hob die Arme. Sie holte ein paar Mal tief Luft. Die
     Schwarzhaarige kämpfte immer noch mit Diego um die Waffe. Unger richtete die Pistole auf die beiden, traute sich jedoch nicht
     zu schießen.
    Es sah so aus, als bekäme der kräftige Diego langsam die Oberhand. Obwohl seine Gegenspielerin an ihm zerrte, biss und kratzte,
     schaffte er es, den Arm mit der Waffe in

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