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Das System

Das System

Titel: Das System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wir Helius haben, oder?«
    Unger nickte. »Sie haben vermutlich recht. Aber die ganze Sache hier stinkt zum Himmel. Wenn wir ihn haben, will ich, dass
     Sie umgehend den Absender dieser SMS ermitteln!«
    »Geht klar, Chef. Aber jetzt müssen wir erst mal Helius schnappen.« Er wandte sich mit einer theatralischen Geste an den Einsatzleiter.
     »Zugriff!«

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    22.
    Shinjuku-Distrikt/Tokio,
    Freitag 18:30 Uhr
    Kumiko Sugita trat hinaus auf die Shinjuku Dori. Nach der trockenen Kühle der Klimaanlage umfing sie die schwüle Luft wie
     ein ungewaschenes Handtuch. Sie mischte sich in das Feierabendgedränge auf dem Bürgersteig, vorbei an etwa zehn Stockwerke
     hohen Bürohäusern, die so mit bunten Reklametafeln zugehängt waren, dass man die eigentlichen Fassaden kaum noch erkennen
     konnte. Der Fußweg zur nächsten Metro-Station Shinjuku Sanchome dauerte nur ein paar Minuten. Von da würde sie etwa eine Stunde
     brauchen, bis sie die Wohnung ihrer Eltern im Hozumi-Distrikt im Nordwesten Tokios erreichte.
    Weder die stickige Luft noch das Gedränge konnten ihrer guten Laune etwas anhaben. Ihr war heute die Ehre zuteilgeworden,
     mit Herrn Oto, dem Direktor der örtlichen Filiale der Hozumi Bank, persönlich zu sprechen, und der Direktor hatte sich lobend
     über ihre bisherigen Leistungen in ihrem ersten Jahr als Kundenberaterin geäußert. Kumiko |92| hatte so gestrahlt, dass sie beinahe vergaß, sich angemessen zu verbeugen.
    Jetzt freute sie sich darauf, ihren Eltern von dem Gespräch zu erzählen und von der Gehaltserhöhung, die sie sich verdient
     hatte. Sie würde Isao heute Abend zum Essen in das kleine Restaurant einladen, in dem sie neulich ihr zweijähriges Zusammensein
     gefeiert hatten. Er würde große Augen machen und protestieren, aber sie würde darauf bestehen. Am Ende machte er ja immer,
     was sie wollte. Deshalb liebte sie ihn – er nahm sie so, wie sie war, und ließ ihr die Freiheit, die sie so dringend brauchte.
    Sie klappte ihr Handy auf und überprüfte die Nachrichten. Ihre Freundin Lino hatte ihr eine MMS geschickt. Sie hatte sich
     das lindgrüne, hautenge Kleid gekauft, das sie beide sich in dem kleinen Laden auf der Kotakibashi Dori angesehen hatten,
     und posierte kokett darin. Ein kleiner Stich des Neids ging durch Kumikos Herz. Sie hatte vorgehabt, sich das Kleid am Wochenende
     selbst zu kaufen, aber das war jetzt natürlich undenkbar. Schade – Isao hätte bestimmt gefallen, wie es ihre schlanke Figur
     betonte. Andererseits war sie beinahe erleichtert. So riesig war die Gehaltserhöhung schließlich auch wieder nicht ausgefallen.
     Wenn sie mit Isao in die kleine Wohnung in Ome zog, die ihre Tante ihr besorgt hatte, würde sie jeden Yen für die Einrichtung
     und die Miete brauchen.
    Sie klappte das Handy zu und steckte es in das Jackett ihres Dienstanzugs. Nur die vorgeschriebenen schwarzen Lederschuhe
     hatte sie bereits gegen ihre bequemen Nikes ausgetauscht. Sie trug sie in einer Plastiktüte bei sich.
    Sie ging in Richtung des Bahnhofs und stellte sich vor, wie es sein würde, wenn sie mit Isao nach dem Essen in sein kleines
     Zimmer ging. Er würde sie in den Arm nehmen, sie mit seinen ernsten, aufrichtigen Augen ansehen, und dann …
    Schwungvolle Blasmusik riss sie aus ihren Gedanken. Es |93| war der Refrain des Lieds »Die Musi kommt« von den Zillertaler Volksbuben. Sie hatte den Klingelton erst gestern heruntergeladen.
     Deutsche Volksmusik war der neueste Trend bei Klingeltönen, und die Volksbuben belegten die ersten drei Plätze der japanischen
     Klingelton-Charts. Sie blieb stehen, kramte das Handy aus der Jackentasche und klappte es auf. »Hallo?«
    Doch es war nicht Isao, wie sie gehofft hatte. Es war auch nicht ihre Mutter, die sie an irgendeine Pflicht gegenüber ihrem
     Onkel oder einer entfernten Verwandten erinnern wollte. Stattdessen hörte sie nur ein vielstimmiges, aufgeregtes Gemurmel,
     wie von einer großen Menschenmenge.
    »Hallo? Wer ist da?« Weiterhin nur das Geräusch vieler Menschen, die durcheinanderredeten. Dann ein regelmäßiges Piepen. Die
     Verbindung war abgebrochen. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie ihr Handy. Dann sah sie hoch und blickte sich mit aufgerissenen
     Augen um.
    Überall auf der Straße waren die Leute stehen geblieben und hatten ihre Mobiltelefone hervorgeholt. Der stetige Trott der
     Menschen war praktisch vollständig zum Stillstand gekommen. Manche der Passanten hatten immer noch ihr Handy am Ohr und lauschten
    

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