Das System
einen Antivirus?« Lisa zog die Stirn kraus. »Das könnte vielleicht klappen. Wir müssten ihre eigene Wandlungsfähigkeit
ausnutzen und eine Variante von Pandora schaffen, die sie aus dem Netz verdrängt, die ihre Parts befällt und deren Kommunikation
miteinander unterbindet. Damit hätten wir sie nicht ganz beseitigt, aber wir würden zumindest ihre Fähigkeit, zu denken, auslöschen.
Dann wäre sie nicht mehr so gefährlich. Aber dazu bräuchten wir den Source Code.«
»Warum das?«
»Wir wissen nicht genau, wie Pandora funktioniert. Ich könnte einen Virus schreiben, der bestimmte Muster aus ihrem Code erkennt
und entsprechende Parts angreift. Aber sehr wahrscheinlich wäre sie schnell in der Lage, sich davor zu schützen, indem sie
einfach diese Muster ändert.«
»Und mit ihrem Source Code kannst du das unterbinden?«
»Ich könnte eine Variante von Pandora schreiben, die ebenso wandlungsfähig ist wie sie selbst. Einen Virus, der sich ihr anpasst,
selbst wenn sie sich verändert. Aber dazu benötige ich ihren Source Code als Ausgangsbasis. Ohne ihn würde es sehr lange dauern,
falls es mir überhaupt gelingt. Rainer war ein Genie – das bin ich nicht.«
|203| Mark versuchte, aufmunternd zu lächeln. Er legte seine Hand auf ihren Unterarm. »Wir sind vielleicht keine Genies. Aber wir
sind Menschen. Im Gegensatz zu Computern sind wir kreativ und haben Improvisationstalent. Uns wird etwas einfallen. Wir lassen
uns doch von so einer verdammten Maschine nicht unterkriegen!«
Sie sah nachdenklich auf seine Hand. Dann nickte sie und verzog ihren Mund ebenfalls zu einem grimmigen Lächeln. Mark hatte
plötzlich das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen. Vor weniger als zwei Stunden war Lisa einem Mann ausgeliefert gewesen,
der sie hatte vergewaltigen wollen, und jetzt saß sie schon wieder hier, bereit, den Kampf mit einem übermächtigen Gegner
aufzunehmen. Er bewunderte ihre Tapferkeit.
Der Augenblick verging. Mark nahm seine Hand von ihrem Arm. »Und was machen wir jetzt?«, fragte er. »Der Source Code ist auf
Rainers Rechner, und der ist verschlüsselt.«
»Für einen Hacker sind seine Source Codes so ziemlich das Wertvollste, das es gibt«, sagte Lisa. »Ein Rechner kann kaputtgehen
oder geklaut werden. Normalerweise bewahrt man immer noch irgendwo mindestens eine Sicherheitskopie der aktuellen Version
auf.«
Mark stand auf. »Ich gehe noch mal in Rainers Wohnung. Jetzt, wo uns die Polizei vorerst nicht mehr sucht, können wir dort
ja noch mal gründlich nachsehen.« Er sah in ihre rot geränderten Augen. »Du solltest dich erst mal hinlegen und ausschlafen.«
Lisa schüttelte den Kopf. »Ich bin okay.« Sie grinste. »Außerdem kriegst du doch ohne mich die Tür gar nicht auf.«
Eine gute halbe Stunde später waren sie in Rainers Apartment. Die Tür war notdürftig repariert worden – offenbar hatten Unger
und Dreek sie gestern aufbrechen müssen. Ein Polizeisiegel klebte zwischen Türblatt und Rahmen, und ein |204| Schild wies darauf hin, dass das Betreten der Wohnung polizeilich verboten war. Lisa ignorierte das Siegel und öffnete die
Tür.
Sie verbrachten den halben Tag damit, die Wohnung zu durchsuchen. Die Polizei hatte Rainers Computer und Drucker beschlagnahmt
und sicher bereits alles nach weiteren Spuren durchsucht. Lisa und Mark kontrollierten trotzdem jeden Zentimeter, verrückten
Regale, holten die Matratze aus dem Bett.
Mark klopfte gerade mit den Handknöcheln die Kacheln des blitzsauberen Badezimmers ab, um nach einem Hohlraum zu suchen, als
er Lisas Stimme aus dem Wohnzimmer hörte. »Kommst du mal?«
Mark ging zu ihr. Sie saß am Schreibtisch und hielt eine braune C5-Versandtasche in der Hand. Eine der Schubladen war aufgezogen.
»Was ist? Hast du was gefunden?«
»Nein. Das heißt, vielleicht.« Sie hielt die Papierhülle hoch.
»Was ist das? Ein weiterer Brief von Rainer? Wo hast du den her?«
Lisa schüttelte den Kopf. »Es ist nur ein leerer Umschlag.«
Mark sah sie irritiert an. »Und?«
»Hast du in der Wohnung irgendwas Überflüssiges gefunden? Etwas, was Rainer nicht offensichtlich zum täglichen Leben brauchte?«
Er dachte einen Moment nach. »Jetzt, wo du es sagst … nein. Du hast recht, das ist seltsam. Ich meine, jeder sammelt doch
im Laufe der Zeit irgendwelches Zeug an.«
Lisa schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, das passt zu Rainer. Er war extrem ordentlich und sicher auch sparsam. Er hatte
vier von
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