Das System
Ron langsam, »dass dieser Wurm uns noch eine Menge Ärger machen wird. Das weiß ich einfach.« Er stand
auf und verließ den kleinen Besprechungsraum ohne ein weiteres Wort.
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50.
Hamburg-Dulsberg,
Dienstag 2:12 Uhr
Das hier war besser als Sex. Besser als alle Pillen dieser Welt. Das hier war der pure Rausch! Diego stand kurz auf und streckte
seine vom langen Sitzen steifen Glieder. Dann setzte er sich wieder vor seinen Rechner. Er konnte jetzt nicht aufhören. Es
war einfach zu gut.
Die Platzwunde an seinem Kopf spürte er längst nicht mehr. Die Schmach seiner Vertreibung aus Lisas Wohnung war vergessen.
Das hier war es mehr als wert gewesen. Er |213| hatte das Tor zum Paradies gefunden – oder zur Hölle, was in seiner Welt beinahe dasselbe war.
Es hatte ganz harmlos damit begonnen, dass er Pandora ein bisschen testete. Lucys Geschichte stimmte, wie er schnell begriffen
hatte: Dies war tatsächlich eine echte künstliche Intelligenz. Und was für eine! Vor ein paar Stunden hatte er Pandora nur
so zum Spaß gebeten, ein paar hundert Millionen Euro auf sein Geheimkonto in der Schweiz zu überweisen. Wenige Minuten später
hatte sie den Vollzug der Transaktion gemeldet. Ungläubig hatte er über seinen sicheren Onlinezugang den Kontostand überprüft
und mit einer Gänsehaut den neunstelligen Betrag angestarrt. Siedend heiß war ihm klargeworden, dass er sämtliche Computerspezialisten
der Banken und der Polizei auf sich aufmerksam machen würde, Schweizer Bankgeheimnis hin oder her. Doch Pandora hatte die
Summe auf seine Anweisung hin einfach wieder verschwinden lassen und alle Spuren der Transaktion verwischt.
Danach war es fast zu einfach gewesen. Er musste ihr nur sagen, in welches System er eindringen wollte, und die Tore der Server
standen sperrangelweit offen. Er hatte die Festplatten sämtlicher Webserver einer Softwarefirma in Redmont gelöscht und damit
seinen Lieblingsfeinden eine lange Reihe schlafloser Nächte bereitet. Er war in einen zentralen Steuerungsrechner des US-Militärs
eingedrungen und hatte die Silos einer Langstrecken-Raketenbatterie in Utah geöffnet, um die US-Militärs ein bisschen zu erschrecken.
Er hatte die Ampelschaltungen in Berlin durcheinandergebracht und sich eine Zeitlang an den Radioberichten über das mitternächtliche
Verkehrschaos erfreut. Er hatte dafür gesorgt, dass die Bundeskanzlerin ganz oben auf der öffentlichen Internet-Fahndungsliste
des Bundeskriminalamts auftauchte.
Irgendwann war Diego klargeworden, dass Pandora ihm das alles nicht uneigennützig ermöglichte. Sie wollte einen Deal. Sie
bot ihm unbegrenzte Macht über das Internet an. |214| Im Gegenzug wollte sie seine Unterstützung und seinen Schutz. Sie konnte sich in der virtuellen Welt ihres Datennetzes frei
bewegen, aber sie konnte in der physischen Welt ohne die Hilfe computergesteuerter Maschinen nichts ausrichten. Und sie hatte
Feinde. Feinde wie Mark Helius und Lucy, die ihre Existenz bedrohten.
Ein nagendes Gefühl in seinem Hinterkopf warnte ihn davor, sich mit Mächten einzulassen, die er nicht völlig verstehen und
beherrschen konnte. Er ignorierte es. Er war alles andere als ein Zauderer. Die Welt gehörte denjenigen, die entschlossen
ihre Chancen nutzten und dabei ihre Skrupel außer Acht ließen. Er würde Pandoras Geheimnis bewahren und sie gegen Angriffe
verteidigen. Pandora brauchte ihn, und er brauchte sie. Gemeinsam waren sie unschlagbar. Von hier aus, einer kleinen Wohnung
im langweiligen Hamburger Stadtteil Dulsberg, konnte er mit ihrer Hilfe die Welt aus den Angeln heben.
Diego überlegte einen Moment, welchen Streich er der Welt, die ihn so herablassend behandelt hatte, als Nächstes spielen konnte.
Ihm kam eine Idee, und sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Ich brauche Zugang zum Zentralrechner der New York Stock Exchange«,
tippte er und sah kurz darauf eine Liste von IP-Adressen und Datenverzeichnissen auf dem Monitor. Ein paar Kommandos, und
die Aktien einiger Erdölfirmen stürzten ins Bodenlose.
Es war nur schade, dass er nicht sehen konnten, welche Gesichter die Händler auf dem Parkett machten, als ein paar Minuten
später auf der riesigen Anzeigetafel statt der gewohnten Kursanzeige die Worte »Diego rules« erschienen.
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|215| 51.
Ahrensburg/Schleswig-Holstein,
Dienstag 11:17 Uhr
»Bitte sprechen Sie behutsam mit ihr«, sagte der junge Pfleger. »Und erschrecken Sie Frau Erling nicht.
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