Das System
ganze Heilige Schrift
auswendig!« Sie wurde ernst. »Ich nehme an, Sie haben einen guten Grund, nach ihm zu fragen. Ich glaube nicht, dass er Verwandte
in Ihrem Alter hatte. Darf ich fragen, wie Sie zu ihm stehen?«
»Ich bin sein ehemaliger Chef«, sagte Mark. »Schwester Agnes, es tut mir leid, aber ich muss Ihnen sagen, dass Rainer tot
ist.«
»Oh.« Ihr Gesicht zeigte aufrichtige Trauer. Die tiefen Furchen um ihre Augen wiesen darauf hin, dass sie sich das Leid anderer
Menschen zu Herzen nahm. »Was ist denn passiert?«
»Er ist … in einem Aufzug umgekommen.« Mark zeigte der Heimleiterin das Foto aus Rainers Wohnung. »Kennen Sie diese Frau?«
Schwester Agnes schüttelte den Kopf. »Seine Mutter ist das nicht. Wenn er die Frau auf dem Foto gekannt hat, dann muss das
nach seiner Zeit bei uns gewesen sein. Wir haben ihn mit siebzehn entlassen. Da hatte er bereits ein Einser-Abitur und eine
Sonderzulassung zum Studium an der Universität.« Ihre klugen Augen fixierten Mark. »Warum fragen Sie danach?«
»Rainer hat an etwas gearbeitet, das sehr wichtig für uns ist. Wir glauben, dass er dieser Frau vielleicht eine Kopie geschickt
hat …«
»Was hat er denn gearbeitet?«, erkundigte sich Schwester Agnes.
»Er war Softwareentwickler in meiner Firma.«
Sie nickte. »Rainer war immer fasziniert von technischen Dingen, besonders von Computern. Wir haben hier bewusst |221| keine Videospiele oder so was, weil das die Kinder nur noch mehr vereinsamen würde. Rainer wollte immer an den Buchhaltungscomputer,
den einzigen PC, den wir hier haben. Er wollte genau verstehen, wie er funktioniert. Es war wohl nicht zu verhindern, dass
er Informatik studieren musste.« Ihr Gesicht wurde plötzlich sehr ernst, und Mark ahnte, dass sie auch sehr streng sein konnte.
»Sie sagten, er sei in einem Aufzug gestorben? Wie ist das passiert?«
Mark entschied sich, ehrlich zu ihr zu sein. »Es gab eine Fehlfunktion. Es könnte sein, dass etwas … dass jemand den Aufzug
manipuliert hat.«
»Musste er wegen dieser Computersache sterben, an der er gearbeitet hat und hinter der Sie jetzt her sind?«
»Es wäre möglich.«
Sie sah Mark lange an. Ihre blauen Augen schienen ihn zu durchbohren, sein Innerstes zu erforschen. Nach einiger Zeit nickte
sie. »Ich kann Ihnen nur wünschen, dass Sie das Verbrechen aufklären, wenn es eins war.« Sie seufzte. »Wissen Sie, ich bin
nicht naiv. Aber wenn ich sehe, was die moderne Technik auf der Welt anrichtet, habe ich manchmal das Gefühl, es gibt doch
einen Teufel.«
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53.
Hamburg-Altona,
Dienstag 17:31 Uhr
»Das war wohl nichts«, sagte Lisa und nippte an ihrem grünen Tee. »Jetzt sind wir genauso schlau wie vorher.«
Mark schüttelte den Kopf. »Immerhin wissen wir jetzt, dass diese Eva nicht seine Mutter ist und dass er sie kennengelernt
haben muss, nachdem er das Heim verlassen hat.« Er rief Mary in der Firma an.
»Distributed Intelligence, Mary Andresen, guten Tag?«
»Hier ist Mark. Wie geht’s?«
|222| »Hallo, Mark! Frag lieber nicht. Hast du schon gehört, was passiert ist?«
»Kommissar Unger hat mir erzählt, dass ein Feuer im Serverraum ausgebrochen ist. Habt ihr mittlerweile rausgefunden, wie?«
»Die Spezialisten von der Feuerwehr sind noch dran, aber bisher gibt es keinen Hinweis auf Brandstiftung. Die ganze Firma
ist praktisch geschlossen. Martin und zwei seiner Leute sind dabei, eine Notkonfiguration einzurichten, damit der Betrieb
von DINA wenigstens auf Sparflamme weitergehen kann. Ich versuche unterdessen, die Kunden zu beruhigen. John Grimes hat vielleicht
getobt, kann ich dir sagen. Ich glaube, er denkt immer noch, du bist an allem schuld.«
»Hör zu, Mary. Rainer hat auf der Basis von DINA eine künstliche Intelligenz geschaffen, die er Pandora genannt hat. Wahrscheinlich
hat sie gezielt ein Bauteil im Server überhitzt und so das Feuer ausgelöst. Wir brauchen unbedingt den Source Code von Pandora,
um einen Virus zu schreiben, der sie vernichtet.«
»Ehrlich gesagt, Mark, ich verstehe kein Wort.«
»Ich kann dir das jetzt nicht alles im Detail erklären. Du musst uns einfach helfen. Wir müssen rausfinden, was Rainer gemacht
hat, bevor er zu D. I. kam. Vielleicht hat er jemandem, den er gut kannte, eine Kopie des Source Code geschickt.«
»Wer ist ›wir‹?«
»Ich bin bei Lisa. Sie hilft mir.«
»Lisa? Woher willst du wissen, dass sie nicht die Mörderin ist? Immerhin hatte sie einen guten
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