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Das System

Das System

Titel: Das System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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war ein schmächtiger Mann mit einer großen Brille und einem pickeligen Gesicht. Er sah sehr jung aus,
     eher wie ein Abiturient als wie der Leiter des Rechenzentrums an Deutschlands wichtigstem physikalischen Forschungszentrum.
     Wie die gleichnamige Schokolade kam er aus der Schweiz und hatte am CERN promoviert.
    Er holte Mark und Lisa am Pförtnerhäuschen ab und führte sie über das weitläufige Gelände. Mit sichtbarem Stolz und starkem
     Akzent erklärte er die Funktion der einzelnen Gebäude.
    »Das da drüben ist das Kühlhaus, oder? Sie erkennen das an dem Wärmetauscher dort. Sehen Sie? Das Weiße da ist echter Schnee.
     Die Anlage dient dazu, das Helium auf die richtige Temperatur runterzukühlen, auf nur wenige Grad Kelvin. Es wird dann in
     den unterirdischen Beschleunigungsring gepumpt und kühlt dort die Magnetspulen so weit ab, dass sie supraleitend werden, oder?
     Nur so können wir die starken Magnetfelder erzeugen, die nötig sind, um die Teilchen auf ihrem Kurs um den Ring zu halten.«
     Er machte eine weitläufige Bewegung mit dem Arm. »Der führt hier unter dem gesamten Gelände entlang. Mehr als fünf Kilometer.
     Ein Elektron umrundet das Gelände so ungefähr sechzigtausend Mal in der Sekunde. Natürlich nur, wenn der Ring eingeschaltet
     ist, oder?«
    Mark nickte angemessen beeindruckt. »Dr. Tobler, was genau ist eigentlich Ihre Aufgabe hier?«
    Der Leiter des Rechenzentrums machte sich so groß, wie es seine kaum 170 Zentimeter Körperlänge erlaubten. »Sehen Sie, all
     das hier, die ganze Technik, wäre völlig nutzlos ohne die Mathematik, oder? Zum einen hätten wir das alles gar nicht bauen
     können. Sie haben ja keine Vorstellung, wie |229| kompliziert das ist. Der Beschleunigungsring HERA besteht aus Hunderten riesiger Elektromagnete. Jeder einzelne hat eine individuelle
     Form, die sehr kompliziert berechnet werden muss. Und …«
    »Das heißt, Sie haben das hier entworfen, sind sozusagen der Architekt?«, erkundigte sich Lisa.
    »Nein, nein.« Tobler wurde ein wenig rot. »Das nicht. Ich wollte nur erklären … na, ist ja auch egal. Meine Aufgabe hier ist
     die Auswertung der Versuchsergebnisse. Sehen Sie, so ein Teilchenbeschleuniger liefert eine Menge Daten, oder? Da kommen im
     Laufe eines Jahres schon ein paar Petabyte zusammen. Sie wissen, was ein Petabyte ist?«
    »Eine Million Gigabyte«, sagte Lisa und warf Mark einen gequälten Blick zu.
    »Zwei hoch fünfzig Byte, um genau zu sein«, erklärte Tobler. »Wie ich schon sagte, eine ganze Menge Daten. Und die entstehen
     in dem winzigen Moment, in dem zwei Teilchen im Ringbeschleuniger aufeinandertreffen.« Er stieß die Fäuste zusammen. »Peng!
     Durch die enorme Energie, die bei dem Aufprall frei wird, entstehen neue Teilchen: Positronen, Neutrinos, Quarks, je nachdem,
     was wir da aufeinander loslassen. Die fliegen in alle Richtungen« – er deutete das mit komplizierten Armbewegungen an – »und
     treffen auf Detektoren. Und diese Detektoren liefern dann Zahlenwerte an unser Rechnernetzwerk. Oder?«
    Sie hatten inzwischen ein unscheinbares, zweistöckiges Gebäude erreicht und einen kleinen Besprechungsraum betreten. Durch
     eine Glasscheibe in der Wand konnte man einen langgestreckten, flachen Raum sehen, in dem lange Reihen von Schaltpulten und
     Monitoren standen. Einige junge Leute in Jeans und Sweatshirts saßen an den Pulten oder standen herum und diskutierten. Das
     Ganze sah ein bisschen aus wie das NASA Mission Control Center in Houston, das Mark aus dem Fernsehen kannte, doch dem Raum
     fehlte die angespannte, hochkonzentrierte Atmosphäre.
    |230| Sie setzten sich an den kunststoffbeschichteten Konferenztisch, wobei Mark versuchte, seine Ärmel von Kekskrümeln und eingetrockneten
     Rändern von Kaffeebechern fernzuhalten. »Und Ihr Computer wertet die Messergebnisse dann aus?«, fragte er.
    Tobler nickte energisch. »Ganz genau. Aber nicht nur. Ich meine, wir erstellen Statistiken, 3D-Animationen und so von den
     Experimenten, oder? Aber auch Simulationsmodelle. Möchten Sie Kaffee?« Ohne die Antwort abzuwarten, schenkte er drei Becher
     ein, auf denen das Desy-Logo prangte. Mark rümpfte die Nase. Für ihn hatte es so ausgesehen, als wären die Becher schon benutzt
     gewesen.
    »Und Rainer Erling hat an solchen Simulationsmodellen gearbeitet?«
    Tobler nickte. »Ja. Rainer konnte sich ganz gut konzentrieren, oder? Er hat die Modelle in einer Geschwindigkeit entwickelt,
     da konnte man nur staunen.

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