Das System
Ich finde es immer noch schade, dass er nicht bei uns angefangen hat. Aber wir haben die Stelle
nicht bewilligt bekommen, obwohl ich Dr. Feldmann mehrfach …« Er hielt inne, als sei ihm plötzlich ein Gedanke gekommen. »Er
ist tot, sagen Sie?«
Mark nickte. »Ja, leider.« Er holte das Foto der Unbekannten aus seiner Jackentasche. »Kennen Sie diese Frau?«
Tobler schüttelte den Kopf. »Bei uns arbeitet sie nicht. Ich meine, ich kenne natürlich nicht jede Putzfrau hier, aber vom
wissenschaftlichen Personal sieht niemand so aus. Obwohl …« Er betrachtete das Foto genauer. »Ja. Doch, das könnte fast sein.
Meine Tante Hildegard, oder? Sie ist ein bisschen jünger als die Frau auf dem Foto, und außerdem hat sie blonde Haare, nicht
dunkle. Aber die Ähnlichkeit ist doch verblüffend.«
»Ihre Tante lebt nicht zufällig in Hamburg?«, fragte Mark.
Tobler schüttelte den Kopf. »Nein, in Zürich. Warum?«
»Wie ist Rainer Erling damals zum Desy gekommen? Wissen Sie das noch?«
|231| Tobler nickte. »Professor Weisenberg hat ihn empfohlen.«
»Sie kennen den Professor?«
»Na hören Sie mal. Jeder, der sich auch nur entfernt mit numerischer Mathematik beschäftigt, kennt Professor Weisenberg, oder?
Schließlich war er es, der als Erster bewiesen hat, dass …«
Die Tür flog auf. Ein blonder Mann im Studentenalter kam herein. »Dr. Tobler, könnten Sie bitte mal kommen? Wir haben schon
wieder eine Fehlfunktion.«
Tobler wandte sich an Mark und Lisa. »Es tut mir leid, aber wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen würden …«
»Wir haben Sie schon zu lange aufgehalten«, sagte Mark und erhob sich. Er gab Tobler zum Abschied die Hand. »Vielen Dank für
Ihre Hilfe!«
»Ja, aber Sie wollten doch …« Er zuckte mit den Schultern. »Sie finden den Weg zum Ausgang?«
Mark nickte. Der Leiter des Rechenzentrums wartete nicht auf weitere Abschiedsworte, sondern folgte dem jungen Mann in den
großen Raum. Durch die Glasscheibe konnten Mark und Lisa sehen, wie Tobler aufgeregt gestikulierend mit einigen jungen Wissenschaftlern
sprach, die über einen Monitor gebeugt standen. Die beiden sahen sich an.
»Meinst du …«, fragte Mark.
Lisa zuckte mit den Schultern. »Wir sollten nicht anfangen, Gespenster zu sehen. Computer sind auch schon vor Pandora abgestürzt.
Hier kommen wir auf jeden Fall nicht weiter.«
»Vielleicht kannte er hier jemanden gut genug, dass er ihm den Source Code geschickt hat«, spekulierte Mark.
»Das glaub ich nicht. An diesen Tobler hat er jedenfalls bestimmt nichts weitergegeben. So wie der quasselt, kann ich mir
nicht vorstellen, dass Rainer ihn besonders mochte. Ich denke, wir sollten als Nächstes zu Professor Weisenberg fahren. Hier
verschwenden wir nur unsere Zeit. Oder?«
Mark grinste und nickte.
|232| Sie verließen das Gebäude und gingen über das parkähnliche Gelände des Instituts in Richtung Ausgang. Unterwegs kamen ihnen
drei Männer entgegen, die zum Kontrollzentrum rannten.
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56.
Hamburg-Dulsberg,
Mittwoch 11:48 Uhr
»Hier kommen wir auf jeden Fall nicht weiter«, sagte Lisa. Ihr Gesicht war nicht zu sehen, aber ihre Figur, die strubbeligen
kurzen Haare und ihre Stimme waren unverkennbar.
Diego starrte ungläubig auf seinen Monitor. Sie konnte sehen! Pandora konnte Menschen erkennen und einzelne Personen identifizieren.
Sie sah durch die hundert Millionen Augen all der Sicherheitskameras auf der ganzen Welt. Irgendwie hatte sie aus der Vielzahl
der Bilder dasjenige herausgefiltert, das Lisa und Mark Helius zeigte.
Eine aufregende Mischung aus Begeisterung, Ehrfurcht und Angst erfüllte ihn. Zu Beginn seiner Internet-Streifzüge mit Pandora
war das alles ein großes Spiel gewesen. Doch inzwischen war ihm mehrmals deutlich bewusst geworden, dass sie ihm nicht nur
fast unbegrenzte Macht gab, sondern auch etwas dafür verlangte. Sie waren Bündnispartner, und er musste seinen Teil der Abmachung
erfüllen. Gebannt starrte er auf die Videoaufzeichnung, die ihm die künstliche Intelligenz heruntergeladen hatte.
»Vielleicht kannte er hier jemanden gut genug, dass er ihm den Source Code geschickt hat.« Das war Helius. Diego grinste.
Für die Platzwunde an seinem Kopf würde der Typ teuer bezahlen.
»Das glaub ich nicht«, sagte Lisa. »An diesen Tobler hat er jedenfalls bestimmt nichts weitergegeben. So wie der quasselt,
kann ich mir nicht vorstellen, dass Rainer ihn besonders |233| mochte. Ich denke, wir
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