Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
Lisa nicht mehr. Jetzt ist sie nicht mehr meine Freundin. Meine Mom hat gesagt, das ist gar nicht wahr und dass Tommy mich lieb hat. Weil Tommy weiß , wenn er von einem kleinen Mädchen liebgehabt wird . Wenn das wahr ist, dann kann mir keiner meinen Tommy wegnehmen, weil ihn niemand so lieb hat wie ich. Tommy liegt gerade bei meinen Füßen. Na ja , nicht bei meinen Füßen sondern b ei den Vorderrädern meines Rollstuhls. Er schaut unter dem Schreibtisch hervor. Ich habe ihm erklärt, dass ich jetzt in mein Tag e buch schreibe. Er hat gehechelt und mit dem Schwanz gewedelt. Er ist so so so süß! Und ich glaub e, er hat mich wirklich sehr lieb. Auch wenn ich nicht mit ihm herumspringen kann. Meine Mom hat sicher Recht. Ganz bestimmt. Und Lisa ist eine blöde Kuh.
Mein Daddy hat gesagt, dass ich auf mein neues Zimmer noch ein wenig warten muss , weil er zwei Wochen weg fährt . Von der Arbeit aus nach Washington. Aber dann wird er es sofort machen, hat er versprochen. Ich hab e ihm gesagt, dass das nicht so schlimm ist, weil ich doch Tommy habe und mein Zimmer schön ist. Dann hat mich mein Daddy aus dem Rollstuhl gehoben und mich ganz fest gedrückt . Sein Bart hat so gekitzelt und er hat mir ins Ohr geflüstert, dass er mich gaaaaanz doll lieb hat und dass er so stolz auf mich ist, weil ich keine Heulsuse bin. Ich hab ihm dann gar nicht erzählt, dass ich heute geweint habe. Das ist jetzt Moms und mein Geheimnis. Und deines und meines. Das hat Mom also gemeint, als sie gesagt hat, dass man in ein Tagebuch alle Geheimnisse rein schreiben darf. Also, das ist jetzt unser erstes Geheimnis.
Ich bin immer noch ein wenig traurig wegen Lisa. Sie war doch meine beste Freundin. Mom meint, dass sie vielleicht neidisch ist, weil ich jetzt einen Hund habe. Oder eifersüchtig. Ich hab e nicht gewusst, was das heißt und Mom hat es mir erklärt. Das ist, wenn jemand glaubt, dass man ihn nicht mehr mag, weil man jemand anderen lieb hat. Da wird man dann ganz komisch, hat meine Mom gesagt. Wie Lisa. Aber ich kann doch Lisa lieb haben und Tommy auch, oder? Sie braucht doch gar nicht eifersüchtig sein. Vielleicht ist sie ja doch noch meine Freundin. Ich weiß es noch nicht. Mom hat gesagt , ich soll mal d a rüber schlafen. Und das tu ich jetzt. Ich erzähl dir morgen, wie es mit Lisa weitergeht. Ja? Gute Nacht, liebes Tagebuch. (Und pass auf unser Geheimnis auf)
Ich fühlte Zorn in mir aufsteigen. Giftigen, heißen Zorn. Und inniges Mitleid für Patricia. Was sich ihre Freundin geleistet hatte, spiegelte in gewisser Weise unsere Gesellschaft wieder. Geben wir ihnen ruhig das Gefühl , unsere Freunde zu sein. Aber nur, solange es ihnen nicht besser geht als uns. Sollte jedoch dieser Fall eintreten, dann ist es unser Recht, wenn nicht sogar unsere Pflicht, sie darauf hinzuweisen, dass sie nicht wie wir sind. Es hat ihnen schlecht zu gehen. Und sollte es nicht so sein, dann müssen wir dafür sorgen. Koste es, was es wolle.
Ich sah Patricias Tränen in ihrem Gesicht. Es war ein anderer Gesichtsausdruck als in dieser Vision, in der sie vor Schmerzen brüllte. Dieser Ausdruck war Enttäuschung, von einem Menschen, dem sie vertraut hatte, von dem sie erwartet hatte, er würde ihre Freude teilen. Doch sie erntete nur Neid und Demütigung.
Ich wandte mich wieder dem Tagebuch zu und las den nächsten Eintrag.
Liebes Tagebuch,
heute war ein schöner Tag. Lisa hat sich bei mir entschuldigt und gesagt, dass sie sich auch so sehr einen Hund wünscht. Sie war traurig, dass ich einen Hund habe und sie nicht. Ich habe ihr dann gesagt, dass sie jeden Tag zu mir kommen kann und mit Tommy spielen, wenn sie mag. Und sie hat gesagt, dass sie das gerne tut. D ann waren wir wieder die besten Freundinnen. Ist das nicht schön?
Tommy hat scho n im Vorzimmer auf mich gewartet und ist gleich auf meinen Rollstuhl gehüpft. Dann hat er mir das Gesich t abgeschleckt. Er ist ja so so so süß!
M ein Daddy ist in der Früh weg gefahren. Er hat mich nach dem Frühstück noch ganz fest gedrückt und mir ganz viele Küsschen gegeben, weil er jetzt ja nicht da ist. Das hat mich ein bisschen traurig gemacht. Aber mein Daddy hat gesagt, er ruft mich jeden Abend an und schickt mir ein Träum-süß-Küsschen durchs Telefon. Und heute hat er mich schon angerufen. Ich vermisse meinen Dad. Und meine Mom vermisst ihn auch. Aber dafür darf Tommy heute bei mir schlafen. Und meine Mom hat gesagt, ich darf morgen mit ihm im Garten spielen. Ich freu mich ja
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