Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
ein neues Zimmer. Unten. Weil ich jetzt schon groß bin und dann allein in mein Zimmer kann und wieder raus. Mein Dad wird das Zimmer bauen und ein eigenes Klo. Nur für mich. Ist das nicht cool? Obwohl es mir ja gefällt, wenn mic h mein Daddy jeden Tag rauf trägt. Das braucht er aber dann nicht mehr, weil ich ja allein in mein Zimmer fahren kann. Aber das ist noch nicht alles. Damit ich mich nicht fürchte, hat mir mein Daddy etwas mitgebracht. Jetzt schon, obwohl ich mein Zimmer noch gar nicht habe. Weißt du, was es ist? Ein Hundebaby. Ein Col lie. Er ist s o so so süß! Mom hat gesagt, ich darf den Namen aussuchen. Ich habe sofort gewusst, wie er heißt. Tommy. Ja, mein Hund wird Tommy heißen.
Ich stutzte, las die letzten Sätze wieder und wieder. Zuerst dachte ich, ich hätte mich verlesen, wie man Dinge liest, die so nicht auf dem Papier stehen . Vielleicht wollte ich nur, dass Patricias Hund Tommy hieß. Und in Wahrheit hieß er Jonny oder Ronny oder Tony. Aber ich hatte mich nicht verlesen. Hier stand Tommy. Und es war ein Collie-Welpe.
Zufall. Was sonst? Natürlich würde es t ausende Collie-Welpen in den Vereinigten Staaten geben, einige davon würden Tomm y heißen u nd einer lebte eben bei den Whites.
Dennoch fühlte ich es tief in mir. Wie ein Samenkorn, das angefangen hatte zu sprießen. Es war keine Vermutung, kein Verdacht, keine Wunschvorstellung. Es war da. So, wie ich wusste, dass ich einen Vater und eine Mutter hatte. Genau so sicher wusste ich, dass Patricias Tommy mein T ommy war. Er war zurückgekehrt und j etzt machte er Patricia glücklich.
Tommy mag es, wenn man ihn am Bauch streichelt. Dann quiekt er so witzig und sein Schwänzchen wedelt ganz schnell hin und her . Ich liebe Tommy. Ich bin so glücklich. Und jetzt werde ich schnell schlafen gehen, damit ich Tommy morgen ganz bald sehen kann. Meine Mom hat gesagt, wenn ich dann unten mein Zimmer habe, darf Tommy bei mir schlafen. Ist das nicht cool? Ich freue mich so so so ! Gute Nacht, liebes Tagebuch.
»Ich freue mich mit dir«, flüsterte ich und strich über das Papier. Ich sah ihr aufgeregtes Gesicht vor mir, ihren Ich-kann-es-nicht-erwarten-dass-es-endlich-morgen-wird-Blick. Ich sah sie in ihrem Bett liegen und die Augen fest schließen, in der Hoffnung bald einzuschlafen, um noch früher wieder aufzuwachen. Tommy huschte in das Zimmer und hockte sich neben das Bett. Er schleckte die Finger an Patricias Hand, wedelte mit dem Schwanz. Und dann wurde ich traurig. Nicht weil Tommy mir fehlte, sondern weil ich wusste, dass Tommy Patricia traurig machen würde. Sehr traurig. Und dass diese Traurigkeit eine Schleuse öffnen würde, durch die dunkelste Finsternis in Patricias Welt floss.
Während ich dieses Bild vor mir sah – Tommy neben Patricias Bett – bemerkte ich, dass auch ich meine Augen geschlossen hatte. Ich erschrak, wollte sie wieder aufmachen. Aber bevor der Befehl meine Lider erreichte, schlief ich ein.
Schlaf gut, Jack. Träum was Schönes und grüß diesen Mistköter von mir.
9
Es war dunkel. Keine normale Dunkelheit, sondern eine, die man spüren konnte. Als wäre man in einem Würfel aus schwarzem Schaumgummi eingeschweißt. Sie drückte an allen Seiten und ich dachte mir, es würde nicht mehr lange dauern bis sie in meine Lungen kriechen, meinen Körper ausfüllen und mich von innen auffressen würde.
Ich musste meine Augen nicht öffnen, um zu wissen, dass ich mich in meinem Zimmer befand. Auf meinem Bett, unter den Lebensmittelregalen. Der Raum hatte keine fünf Quadratmeter. Mehr brauchte ich auch nicht, da es nichts gab, was ich in dem Zimmer hätte aufstellen können. Ausgenommen dem Bett. Eigentlich war es eine alte Liege, die Vater irgendwo gefunden hatte. Früher hatte Mutter eine Matratze aufgelegt, die Vater jedoch auf den Mist geworfen hatte, nachdem ich einmal mein Wasser nicht halten konnte. Also lag ich auf diesem stinkenden Stoff, rot-weiß gestreift, und wartete nur darauf, dass eine der Federn, die die Liegefläche an dem rostigen Metallrahmen spannte, das Zeitliche segnete und ich auf den Boden fiel. Ich fürchtete mich davor. Nicht, weil ich mich verletzen könnte, sondern weil es Lärm verursachte. Lärm, den mein Vater hören konnte. Lärm, der meinen Vater in diesen Raum trieb. Mit seinem Gürtel in der Hand, dessen Schnalle sich dann in meinem Gesicht wiederfand.
Das Kissen war alt. Genau genommen hatte ich nie ein anderes, wonach es mindestens so alt war wie ich. Also
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