Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
berührten, war es doch die nächste, die mir Schmerzen bereitete : Ich hasse meine Mutter!
Patricia irrte umher, suchte nach Wärme und Trost. Sie bettelte ihre Mutter an, sie lieb zu haben. Aber sie konnte ihrer Tochter diese Liebe jetzt nicht geben. Patricia musste weiter nach Wärme suchen. Und sie glaubte, sie gefunden zu haben.
Mir stiegen Tränen i n die Augen. Tränen des Zorns, d er Ohnmacht. Ich wischte sie mir aus den Augenwinkeln und starrte auf das rote Herz. Sauber angemalt. Es war das erste positiv anmutende Zeichen nach fünf Seiten Verzweiflung, Verbitterung und Hass. Man hätte auf den ersten Bl ick annehmen können, Patricia hä tte den ärgsten Schmerz überwunden. Hätte sie in das Herz nicht den Namen Eddie geschrieben. Darunter: Eddie hat mich lieb.
Das Raubtier hatte seine Chance gewittert. Es hatte die Beute in sein Revier gelockt. Ich konnte die rotglühenden Augen in der Dunkelheit sehen. Es schlich um das Mädchen herum, pirschte sich von hinten an, und wenn Patricia am wenigsten damit rechnete – würde es zuschlagen.
Ich zitterte, als ich die nächste Seite aufschlug. Ein Meer von Buchstaben erwartete mich. Die ganze Doppelseite war vollgeschrieben. Derselbe Satz. Wieder und wieder. Mit Großbuchstaben in das Papier eingraviert. In blutigem Rot.
EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE. EDDIE IST BÖSE …
Die restlichen Seiten waren leer.
13
Wie fühlt sich jemand, der in einem schalldichten Raum durch eine Fensterscheibe beobachten muss, wie ein Blinder auf einen Abgrund zuläuft? Er schreit, trommelt mit den Fäusten gegen das Glas, versucht das Unvermeidliche zu verhindern, u nd solange die Person nicht in den Abgrund gest ürzt ist, wird er nicht aufgeben .
So fühlte ich mich. Ich wusste, dass Patricia in Gefahr war. Ich wusste, dass Eddie ihr etwas antat. Etwas Schreckliches. So schrecklich, dass allein der Gedanke daran mir den Magen zusammendrückte, als würde eine Müllpresse meinen Mageninhalt nach oben quetschen. Das Blut in meinen Schläfen pulsierte und ich fürchtete, der Druck im Kopf würde jeden Moment die Schädeldecke sprengen.
Ich griff zitternd an meine linke Armbeuge und riss das Heftpflaster von der Haut. Schne ll und schmerzvoll. Ich zog die Kanüle aus der Vene, warf sie zur Seite und klebte das Pflaster auf den Einstich.
Ich musste zu Sandra. Sie war zwar sicher nicht in ihrer Praxis, ich war aber überzeugt, dass mir etwas einfallen würde, sie zu erreichen. Ich konnte nicht länger warten. Ich hatte schon viel zu lange gewartet.
Lag es am Adrenalinschub oder am Schlafmittel? Warum auch immer – ich spürte kaum einen Schmerz, als ich das verletzte Bein aus dem Bett hob. Nur beim Aufstehen verlor ich das Gleichgewicht, was mich dazu nötigte, mich hastig auf dem Nachtkästchen abzustützen. Ich wartete ein paar Sekunden und öffnete dann den Schrank neben dem Bett. Meine Hose und mein T-Shirt lagen fein säuberlich zusammengelegt in einem Fach in Kopfhöhe neben einer Sammlung an Verbandszeug. Die Jeansjacke hing auf einem Kleiderhaken. Meine Stiefel standen auf dem Schrankboden. Ich fasste nach der Kleidung und setzte mich, da ich spürte, wie mein Kreislauf mir zu schaffen machte. Dann zwängte ich mein verletztes Bein in die zerrissene Jeans. Der Schmerz war erträglich. Ich zog das Nachthemd aus und das T-Shirt an. Nachdem ich die Stiefel übergezogen hatte, fasste ich nach der Jacke.
Die ersten Schritte in Richtung Tür waren ungewohnt. Ich stützte mich am Wandschrank ab , erkannte jedoch , dass ich durchaus in der Lage war, mich trotz Schmerzen passabel fortzubewegen. Meine Hand lag bereits auf dem Türknauf, als ich Schritte am Gang hörte. Schritte, die lauter wurden. Ich war davon überzeugt, dass der Mensch, zu dem diese S chritte gehörten, zu mir wollte. Bestimmt n icht aus Höflichkeit. Ich vermutete den zweiten Killer aus meinem Appartement, der die Nacht abgewartet hatte, um das Werk seines toten Kollegen fortzusetzen, und ich hatte nicht vor, ihm in die Arme zu laufen. Natürlich konnte das auch Einbildung gewesen sein. Vielleicht war es nur die Nachtschwe ster oder ein Arzt – aber etwas in mir warnte mich und riet mir, von der Tür zu verschwinden. Anderenfalls wäre ich tot.
Die Schritte verstummten. Ich drehte die
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