Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)
mich kurz an. Zu kurz, um tatsäc hlich Notiz von mir zu nehmen – u nd das war gut so. Ich fühlte mich sicher in der Anonymität der Masse, fühlte mich von ihr vor dem Wahnsinn beschützt , der mehr und mehr Besitz von meinem Leben ergriff – oder dem, was davon übrig geblieben war. Die Menge zog mich an Geschäften und Bars vorbei, ohne jedes Ziel, da mein Verstand nach wie vor aus undurchdringlichem Schwarz bestand. Als wäre das Innere meines Schädels mit Teerfarbe gestrichen worden. Wie diese verdammte Tür.
Mir war bewusst, dass ich Patricia finden musste und der einzige Weg über Sandra Berington führte. Doch in diesem Augenblick hatte ich Angst. Wie Unkraut wucherte sie durch meine Eingeweide und sorgte dafür, dass meine B eine sich weigerten , in die 4th Street zu gehen, um herauszufinden, ob Sandra in der Praxis war . Irgendetwas sagte mir, dass sie dort auf mich wartete – w eil sie wusste, dass ich zu ihr kommen würde.
Wie eine verfluchte Moräne in ihrer Höhle, Jack.
Die Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, wo in New York City ich mich befan d, beruhigte mich, da ich dadurch mir gegenüber rechtfertigen konnte, nicht sofort zu Sandra zu laufen. Ich schob es hinaus. Aber ich wusste, dass dieser Weg der einzig gangbare war. Früher oder später musste ich ihn gehen. I n diesem Moment tendierte ich zu später .
Ich beobachtete die entgegenkommenden Leute und bemühte mich, Gesprächsfetzen aufzuschnappen, um darüber nachzudenken , wie der Zusammenhang im Gespräch gewesen sein könnte. Auf diese Art lenkte ich mich von dieser schwarzen Tür und den Mädchen ab. Ich musste meine Gedanken ausschließlich auf Patricia lenken und das konnte ich nur, wenn mein Kopf klar war. Und das war er nicht.
»Hey Baby, ich bin gerade in der Stadt und … « Eine attraktive Blondine stöckelte an mir vorbei, wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und lachte in ihr Handy. »Ja, genau. Um diese Zeit.« Ein Gespräch mit ihrem Freund. Die Frau war höchstens fünfundzwanzig und sah viel zu gut aus, um verheiratet zu sein. Sie hatte ihren Freund geweckt und würde ihn jetzt fragen, ob sie nicht schnell auf einen Drink vorbeikommen könnte. Aus dem Drink würde dann hemmungsloser Sex werden.
Und dann wird der Mistkerl ihr die Augen aus dem Schädel schneiden.
Ich blieb stehen. Wandte mich um. Erschrak. Die Frau war keine zwei Meter hinter mir stehen geblieben und starrte mich an. In der Hand hielt sie nach wie vor das Telefon. Langsam ließ sie es sinken. Schwarze Tränen glitzerten auf ihren Wangen. Ihre Lippen bewegten sich. »Warum?«, sagte sie tonlos. »Warum hast du mir das angetan, Eddie?«
»Nein«, flüsterte ich. Das konnte nicht real sein. Nicht diese Frau. Nicht diese Tränen. Nicht dieses Blut, das jetzt aus den leeren Augenhöhlen rann und auf das hellblaue Sommertop tropfte.
»Nein!« Ich machte einen Schritt zurück. »Verflucht! Nein!«
Die Frau bückte sich und hob etwas auf. Ich konnte nicht erkennen, was es war. Ein Kettchen oder ein Ohrring vielleicht?
»Ja, Baby. Jetzt . Ich könnte in zehn Minuten bei dir sein.« Hastig stöckelte sie weiter. Ich blickte ihr nach, während ich rücklings den Gehweg entlang stolperte.
Jemand stieß mich am rechten Arm. Ein Schwarzafrikaner. Er strafte mich mit einem zornigen Gesichtsausdruck. »Blödes Schwein«, konnte ich von seinen Lippen ablesen.
Komm schon, Jack! Zeig diesem Nigger, wer hier das Schwein ist!
Als hätte er diese verhasste Stimme gehört, blieb er stehen, machte kehrt und kam langsam auf mich zu. »Öffne die Tür, Jack«, sagte er. »Hörst du? Öffne diese verfluchte Tür!« Er hob drohend den rechten Arm. Eine tiefe, eitrige Wunde klaffte an seinem Handgelenk. Am anderen ebenso. Seine Sportschuhe hinterließen bl utige Spuren, als wären sie gefüllt mit Blut.
»Nein … «
»Alles in Ordnung, Mister?«, fragte er und blickte auf meinen Oberschenkel. »Sie sehen aus, als würden Sie jeden Moment umkippen.«
»Alles … o k ay «, sagte ich und nickte.
»Gut!« Er lächelte und klopfte auf meine Schulter. Als er sich umwandte, entdeckte ich eine weitere Wunde. Am Ansatz seiner Halswirbelsäule. In der Wunde steckte Metall. Scharfes Metall. Es sah aus w ie ein gebogenes Messer. Nein. Wie ein Haken.
»Any! Hör auf damit! Ich will diese Bilder nicht sehen!«
Ich wandte mich um, wollte losrennen, stoppte aber nach dem ersten Schritt und starrte auf die Menschen, die im Halbkreis um mich standen. Sie versperrten mir
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