Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Das Tagebuch der Patricia White (German Edition)

Titel: Das Tagebuch der Patricia White (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gian Carlo Ronelli
Vom Netzwerk:
praktiziert.
    Ich betrachtete diese Szene, als ginge mich das Ganze einen feuchten Dreck an. Sieh dir diesen Vollidioten an, Dave , wollte ich sagen. Hat sich seine Hände zerschnitten, weil er in seiner Sucht ein Glas zerdrückt hat. Ich lachte im Geiste laut auf. Ist der Typ nicht irre? Und Dave … Ich hielt einen Zeigefinger vor die Lippen. Ich verrat‘ dir etwas: Dieser Säufer wollte Bob killen. Erwürgen. Wegen einer Flasche Brandy. Ha! Ich sag‘ dir – dieses Arschloch ist vollkommen durchgeknallt!
    Dave verknotete das Ende des zweiten Verbandes und legte den Arm um meine Schultern.
    »Lass‘ uns abhauen«, sagte er. »Ist schon spät.«
    Erst jetzt fragte ich mich, wer Dave eigentlich war. Sandra erzählte mir von einem Kollegen in der Feuerwache mit diesem Namen. Er war mit mir in dem brennenden Haus der Whites. Die Art, wie Dave mit mir umging, zeigte mir aber, dass er mehr als nur ein Kollege war. Dave war ein Freund. Ein Freund, der mitten in der Nacht in eine Bar fuhr, um mich vor mir selbst zu beschützen, mich nach Hause zu bringen, weil er wusste, dass ich jetzt nicht dazu imstande war.
    Alles an Dave war vertraut. Seine Stimme, der Geruch des Deos, das Gefühl der Finger an meinen Händen, des Armes auf meinen Schultern – alles fühlte sich an, als hätte ich diese Dinge bereits unendlich oft wahrgenommen. Auch das Tattoo – eine Rose, die sich um ein Schwert rankte – schien mir jetzt derart selbstverständlich, dass mir sein Oberarm ohne diese Zeichnung nackt vorgekommen wäre.
    Dave führte mich aus der Bar. Nicht wie einen Alkoholiker, der wegen seiner Entzugserscheinungen eine Gefahr für die Gesellschaft darstellte , sondern wie einen Freund, dem man helfen musste. Ich wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen. Vielleicht fürchtete ich, Dave könnte erkennen, was ich für ein Arschloch war, könnte fortgehen und mich alleine auf der Straße stehen lassen. Und ich wollte nicht alleine sein. Nicht mehr. Ich wollte, dass Dave bei mir war. Ich brauchte einen Freund. Einen Freund, der mir half, aus diesem Wahnsinn herauszufinden. Und ich wusste, dass Dave dieser Freund war.
    »Sandra hat mich angerufen«, sagte er. Er stand neben der Fahrertür meines Chevys und hielt die Hand auf. Ich fingerte den Wagenschlüssel aus meinen Jeans und legte ihn auf seine Handfläche. »Sie hat mir alles erzählt.«
    »Alles … «, wiederholte ich. Alles war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Ich würde ihm alles erzählen, wenn er es hören wollte. Und er würde mir alles erzählen. In der Art, wie Freunde sich austauschten. Ich spürte, dass Dave mehr über mich wusste, als jeder andere. Aber jetzt war nicht die Zeit, ihn auszuquetschen. Irgendetwas hemmte mich. Ich konnte nicht beschreiben, w as es war, aber es war da. E in unsichtbarer Knebel. Vielleicht war es die Situation in der Bar, die mich fühlen ließ wie ein kleiner Junge, den der Vater mit seinen Beziehungen wieder einmal aus der Scheiße gezogen hatte. Denn Dave hatte den Anschein erweckt , dies wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er mich aus einer Bar abholte.
    Dave fuhr los. Er sagte nichts Wesentliches, außer, dass ich den Verband am nächsten Tag wieder abnehmen könnte. Es schien, als wollte er damit nur die peinliche Stille im Auto vertreiben. Dabei war es doch das Merkmal einer Männerfreundschaft, dass stundenlang geschwiegen werden konnte und diese Stille niemanden störte.
    Dann hatte ich plötzlich dieses Schuldgefühl. Es rumorte im Magen und wuchs zu einem schmerzhaften Druck an. Nicht Bob war der Auslöser. Auch nicht Dave. Es war jemand anderer. Jemand, der mich mit ängstlichen Augen angeblickt hatte. Und ich fürchtete zu wissen, warum.
    »Dave, … «, sagte ich.
    Er blickte kurz zu mir, konzentrierte sich aber sofort wieder auf die Straße. »Ja?«
    »Du weißt, dass ich … «
    »Dass du dich an nichts erinnern kannst? Ja, das weiß ich.«
    »Wenn ich getrunken habe, … « Es fiel mir schwer, die Frage zu formulieren. Allein der Gedanke bescherte mir Übelkeit.
    »Jack … «, sagte Dave ohne mich anzusehen. »Du trinkst nicht mehr, okay? Und was geschehen ist, … versuchen wir alle … zu vergessen. Versuch‘ du dich einfach nicht mehr daran zu erinnern.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Dave. Ich muss es wissen. War ich jähzornig, wenn ich getrunken habe?«
    Dave nickte.
    » Wie jähzornig?«, fragte ich.
    » Sehr jähzornig.«
    Ich musste die Augen schließen. Ohne es zu wollen,

Weitere Kostenlose Bücher